Aus Alt mach Schlecht

Die Philipps-Universität Marburg tauscht ihr 475 Jahre altes Siegel gegen einen Bierdeckel. Ein Handstreich und Beispiel für universitäre Demokratie

MARBURG taz ■ Als die Bürger Marburgs jüngst ihre Zeitung aufschlugen, stellten sie fest, dass ihre Universität ein neues Logo hat. Sieben Mitglieder des mächtigen Senats hatten beschlossen, das alte Siegel aus dem Jahr 1531 abzuschaffen. Einfach so. Für die Bürger, darunter 17.000 Studenten und 6.000 Mitarbeiter der Philipps-Universität, kam die Entscheidung, das sichtbare Zeichen einer 475 Jahre langen Geschichte im Dienste von Forschung und Lehre wegzuwerfen, völlig unerwartet. Zwar hatte Präsident Horst Kern in seinem Uni-Journal schon vor der entscheidenden Senatssitzung mitteilen lassen, wie „der Briefbogen der Philipps-Universität künftig aussehen soll“. Dass in einer „Nacht- und Nebelaktion“ vollendete Tatsachen geschaffen würden, ahnte niemand.

Auch wenn die öffentliche Abstimmung formal demokratisch war (7 Stimmen für die Abschaffung, 6 Enthaltungen, 1 Gegenstimme), wurden doch sämtliche Gepflogenheiten verletzt, die zu einem demokratischen Verfahren gehören. Keine öffentliche Debatte, keine Anhörung der Mitarbeiter und Studenten, keine Rücksprache zwischen den Senatsmitgliedern und den Universitätsangehörigen und kein Gespräch mit den Bürgern der Stadt. Dabei geht es um keine triviale Frage, sondern um das Gesicht der Universität nach außen – nicht nur in Marburg ein wesentliches Zeichen universitärer und städtischer Identität.

Was den Präsidenten bewogen hat, sich für ein Logo einzusetzen, das ästhetisch eine Katastrophe ist, bleibt unklar. Seine Argumentation jedenfalls steckt voller Merkwürdigkeiten. Das alte Siegel sehe dem anderer alter Universitäten zum Verwechseln ähnlich. Ein Vergleich zeigt, dass Universitäten wie die in Freiburg, Heidelberg, Köln, Greifswald, Jena oder Rostock ihrerseits Siegel mit historischen und/oder religiösen Motiven haben. Aber keines ähnelt dem Profil des Marburger Universitätsgründers, dem Landgrafen Philipp, in seinem Federhut.

Dagegen ist es das neue Logo, das allerlei Verkehrsschildern, Bierdeckeln oder Signets erfolgloser Maschinenbaufirmen gleicht. Ein den Präsidenten an Vernunft übertreffender Student meinte spontan, dass das neue Logo wie „ein Brett vor zwei Köpfen aussieht“. Ist das die vom Präsidium erwünschte „Signalwirkung“ der Universität im 21. Jahrhundert?

Als die älteste Universität der protestantischen Welt hat die Philipps-Universität auch ein Stück europäischen Erbes und europäischer Identität zu verantworten; dabei sind die Symbole der Universität von größter Bedeutung. Wenn ein Universitätspräsidium eine solche elementare Tatsache nicht versteht, gibt es Anlass, an der Kompetenz dieser Exekutive zu zweifeln.

Die derzeit allenthalben begonnenen Hochschulreformen sollen dazu dienen, hierarchische Strukturen abzubauen. Wenn diese aber durch präsidiale Willkür und Einschüchterung ersetzt werden, dann ist etwas ganz Grundsätzliches mit dem demokratischen Verständnis schief gelaufen. In der Philipps-Universität Marburg muss sich der Senat fragen lassen, wie er seine Aufgaben als demokratische Vertretung mit Kontrollfunktion erfüllt – mit einer Ausnahme. Nur ein Senatsmitglied, Reinhard Peterhoff, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Wirtschaftswissenschaften, hat das neue Logo als „geschichts- und gesichtslos“ zur Debatte gestellt. Nebenbei hat er die vom Präsidium verbreitete Behauptung, das alte Siegel sei nicht internetfähig, als Unwahrheit enthüllt. Es wird auf den Internetseiten der Uni längst benutzt. Peterhoff war es auch, der auf die Kosten des neuen Logos hinwies. Seine blaue Farbe lässt sich nicht auf dem Recyclingpapier der Universität wiedergeben.

In diesen Tagen der mehr oder weniger geglückten Hochschulreformen, die zweifellos viel Zeit der Mitarbeiter beanspruchen, dürfte eine Strategie der Verantwortlichen einer Universität nicht dazu führen, völlig überflüssige Zeit und Geld raubende Probleme in die Welt zu setzen. In der Uni Marburg scheint aber diese Einsicht die Präsidiumsebene nicht erreicht zu haben. Immerhin: Jetzt wird das neue Label zunächst testhalber eingeführt.

LISBETH LINDEBORG

Die Autorin ist schwedische Publizistin – und engagierte Marburgerin