SILVESTER IST NOCH LANGE KEIN GRUND, AGGRESSIONEN AUSZULEBEN
: Knallerei wie im Krieg

Was ist ein Feuerwerk? Ein glitzerndes, funkelndes, verzauberndes Nichts. Ein Rausch der verglühenden Schönheit. Eine Ahnung vom Zusammenhang zwischen Glück und Vergänglichkeit. Ein Vergnügen für den Augenblick, das gänzlich folgenlos bleibt. Wenn ein Feuerwerk vorbei ist, dann ist es vorbei. Die Welt ist hinterher nicht besser geworden, das Publikum nicht klüger. Aber einige Leute hatten eine gute Zeit.

Andere Leute können Freude ohne tieferen Sinn offenbar nur schwer ertragen. Jedes Jahr findet sich jemand, der darauf hinweist, wie viel Elend sich mit dem Geld bekämpfen ließe, das in Form von Silvesterraketen in die Luft gejagt wird. Schon recht. Ist ja wahr. Aber das gilt für so vieles – von der Achterbahnfahrt bis zum Karnevalsumzug. Der Verdacht liegt nahe, dass die scheinbaren Menschenfreunde einfach anderen gerne den Spaß verderben und dabei auch noch die Moral auf ihrer Seite haben möchten.

Viele Einwände gegen die alljährlichen Salutschüsse haben etwas Sauertöpfisches. Natürlich ist es bedauerlich, dass kein Jahreswechsel ohne Verletzungen und Wohnungsbrände abgeht. Das ließe sich jedoch nur mit rigiden Verboten ändern, und ganz ohne Risiko sind Leben und die Freude daran eben nicht zu haben. Ohnehin hat doch die TÜV-geprüfte Sicherheit in unserer Gesellschaft ein ärgerliches Ausmaß erreicht, das die Lebensqualität inzwischen eher mindert als erhöht. Die winzigen Nischen der fröhlichen Anarchie dürfen nicht noch weiter verkleinert werden.

Die Knallerei auf städtischen Straßen hat allerdings längst nichts Fröhliches mehr an sich, im Gegenteil. Sie wird von Jahr zu Jahr bedrohlicher. Die Zahl derer wächst, die immer lautere Kracher rücksichtslos einfach irgendwohin werfen oder sogar gezielt auf Leute schleudern. Viele, vor allem alte Menschen und Eltern mit kleinen Kindern, trauen sich über Tage hinweg kaum noch aus dem Haus. Der bunte, vergnügte und laute Empfang des neuen Jahres hat sich schleichend in einen Geräuschteppich verwandelt, der an Krieg erinnert.

Wer das nicht mag, sich aber nicht mit den moralinsauren Spielverderbern gemein machen will, tröstet sich meist damit, dass der Spuk ja bald vorbei ist. Das ist nicht wahr. In der neuen Form der Knallerei drückt sich eine beängstigende Aggression aus – und die Überzeugung, man habe das Recht, diese Gefühle ausleben zu dürfen. Dagegen sollte sich die Gesellschaft zur Wehr setzen. Bestimmte Höflichkeitsregeln lassen sich auch ohne Verbote durchsetzen, wenn sich nur genügend Leute einig sind. Das neue Jahr muss nicht mit der Erkenntnis begrüßt werden, dass auf den Straßen das Recht des Stärkeren gilt. BETTINA GAUS