Gemeinsam gegen das Töten

Bei Israelis und Palästinensern melden sich jetzt verstärkt diejenigen zu Wort,die auf einen Dialog setzen. Auch das neu eröffnete „Peace Center“ will dazu beitragen

JERUSALEM taz ■ Israelis und Palästinenser haben langsam genug vom Blutvergießen. Seit zwei Wochen häufen sich die gemeinsamen Initiativen, die der jeweils anderen Seite zeigen sollen, dass man sich nicht gegenseitig verdrängen oder gar umbringen, sondern miteinander leben will. Während die Politiker über die Köpfe der betroffenen Menschen hinweg regieren, versuchen kriegsmüde Bürger, sich die Hoffnungen nicht gänzlich zerbomben zu lassen. Fünfzehn Monate Schrecken mit bald tausend Toten auf palästinensischer, fast 300 Tote auf israelischer Seite waren längst zu viel.

„Wir fühlen gemeinsam, dass die Mehrheit beider Völker die Lage leid ist“, sprach der israelische Schriftsteller David Grossman letzte Woche Tausenden von palästinensischen und israelischen Gästen aus dem Herzen, die zur Eröffnung eines „Peace Centers“ am Jaffa-Tor in Jerusalem gekommen waren.

Ein hochkarätiges Organisationskomitee, darunter Meretz-Chef Jossi Sarid und Arbeitspartei-„Taube“ Jael Dayan, die palästinensische Parlamentarierin Hanan Aschrawi und Arafats PLO-Vertreter in Jerusalem, Sari Nusseibeh, demonstrierten, dass es Partner für einen Dialog gibt. Das von Arafat enttäuschte israelische Friedenslager hatte in den letzten Monaten mit Bitterkeit darauf hingewiesen, dass es kein palästinensisches „Peace Now“ gebe. In ihrer Ungeduld hatten sie übersehen, dass es einem nicht demokratisch regierten Volk unter Abriegelung und Belagerung moralisch und praktisch schwer gemacht wird, dem Besatzer die Hand zur Versöhnung zu reichen.

Deshalb sind an den gemeinsamen Friedensaktivitäten in Israel auch nur Palästinenser aus Ostjerusalem und solche beteiligt, die von den Behörden die Genehmigung zur Einreise erhalten. Umgekehrt werden israelische Normalbürger – außer Siedler – an den Straßensperren von den eigenen Soldaten gehindert, in Palästinensergebiete zu fahren, es sei denn mit Sondergenehmigung.

Gruppen von israelischen Friedensaktivisten mit Passierscheinen fuhren dieser Tage Nahrungskonvois in belagerte Dörfer, während ausländische Menschenrechtsaktivisten in Ramallah, Nablus, Bethlehem und am Gaza-Checkpoint Eres gegen israelische Tanks und Straßensperren marschierten und regelmäßig unter Tränengasbeschuss gerieten. Am Weihnachtstag wurde die Gegend um die Straßensperren bei Bethlehem zur geschlossenen Militärzone erklärt, um einen Fackelzug von Palästinensern und Ausländern nach Jerusalem zu verhindern.

Interviews mit deranderen Seite

Zur Kundgebung der „Frauen in Schwarz“ – Israelinnen, die gegen die Besatzung eintreten – kamen am Freitag erstmals Tausende vor die Altstadtmauern. Palästinensische Christen ergriffen zu Weihnachten Eigeninitiative: Der griechisch-orthodoxe Ostjerusalemer Architekt Peter Abu-Schanab schickte einen mit Hunderten von Unterschriften versehenen Brief an den lateinischen Patriarchen und alle christlichen Gemeindeführer im Heiligen Land, worin er sie aufrief, sich für ein Ende der Intifada und für Friedensverhandlungen einzusetzen.

Journalistisches Gespür für das wachsende Bedürfnis der Israelis nach gemäßigten palästinensischen Stimmen veranlassen die Medien zu Interviews mit Vertretern der anderen Seite, in denen Sari Nusseibeh derzeit den Rang eines Stars genießt. Der 53-jährige Philosophieprofessor, der die PLO in Ostjerusalem vertritt, verzichtet keinesfalls auf die Forderung nach totalem Besatzungsende. Er hat der Palästinenserbehörde jedoch nahe gelegt, den Traum von der Rückkehr der Flüchtlinge nach Israel zu den Akten zu legen und sie stattdessen im zukünftigen Staat Palästina anzusiedeln.

Nusseibeh spricht sanft, bescheiden und klug in geschliffenem Oxford-Englisch. Es ist nicht schwer, unter hohen Offizieren und rechten Politikern solche zu finden, die Nusseibeh als „die größte Gefahr von allen“ bezeichnen. „Es ist klar, dass Nusseibeh eine Gefahr darstellt – für die Rechten“, meinte Jossi Beilin von der Arbeitspartei sarkastisch. „Die finden es leichter, mit Leuten wie dem Hamas-Führer Scheich Jassin fertig zu werden.“

Nusseibeh in seiner gewinnenden Art ist der Antityp des „Terroristen“, den Israelis schon in jedem palästinensichen Arbeiter vermuteten. Sogar Palästinenserchef Jassir Arafat, der am Wochenende respektvoll von Haaretz-Starreporter Gideon Levy in Ramallah interviewt wurde, kam gedruckt viel vernünftiger und menschlicher ins israelische Bewusstsein als in einem lächerlich ungeschickten TV-Interview vor einem Monat.

Egal wie realistisch solche Sehnsüchte sind – viele Israelis träumen von der Beendigung der Besatzungslast und der Beilegung des Konflikts. Zeichen dafür ist nicht nur, was viele Eltern von Söhnen im Rekrutenalter hinter vorgehaltener Hand flüstern: dass sie Angst um ihre Kinder haben.

Jetzt endlich gibt es nach dem erfolgreichen Muster der „Vier Mütter“ gegen die Südlibanon-Besatzung das „Neue Profil“, das die Verweigerung von Wehrdienst in den besetzten Gebieten unterstützt. Zeitungen schreiben wohlwollend darüber, obwohl Dienstverweigerung in Israel illegal ist und mit Gefängnis bestraft wird. „Mein Sohn Matan ist ein Patriot“, wird Semadar Nehab in Haaretz zitiert. „Er dient nicht in den Gebieten, damit die Existenz Israels gesichert bleibt.“ Haggit Gor-Ziv vom „Neuen Profil“ fügt hinzu: „Die Mütter wollen nicht, dass ihre Söhne andere unterdrücken. Selbst die Mütter mit rechten Ideen wollen nicht, dass ihre Söhne ihr Leben opfern.“ ANNE PONGER