Macht der Euro Europa stärker?

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Die Bedeutung der gemeinsamen Währung wird ständig wachsen. Die Europäer werden ein bisschen stolz sein auf ihren Euro. Und seine Einführung macht die bald beginnende Debatte über eine gemeinsame europäische Verfassung sehr viel konkreter, meint SABINE HERRE

Zwei Schwäne über einem finnischen See, die irische Harfe oder auch Großherzog Henri von Luxemburg. Es ist nicht die Einheitlichkeit, sondern die Vielfalt der Euromünzen, die in den letzten Tagen fast so etwas wie Euroeuphorie aufkommen ließ. Und dies nicht nur bei leidenschaftlichen Münzsammlern. Der Euro ist Europa zum Anfassen. Zwölf Länder mit all ihrer unterschiedlichen Kultur und Geschichte haben sich entschieden, auf ein Stück ihrer nationalen Souveränität und Identität zu verzichten. Vom finnischen Inarisee bis zum spanischen Tarifa gilt von nun an nur noch eine einzige Währung. 300 Millionen Menschen werden mit ihr zahlen.

Kein Wunder also, dass das bisher so abstrakte Projekt jetzt, da es Realität wird, Sogwirkung entwickelt: Selbst in der Schweiz, einem Land also, das nicht einmal zur EU gehört, kann man mit den neuen bunten Scheinen seinen Espresso bezahlen. Auch in Großbritannien, Dänemark und Schweden wird der Euro angenommen, viele Länder Osteuropas werden schnell folgen. Diese stetig wachsende Bedeutung ihrer gemeinsamen Währung wird bei den Menschen in Euroland unerwartete Emotionen wecken: Ein ganz klein bisschen werden sie stolz sein auf ihren Euro.

Sicher, die erste Euphonie dürfte bald verfliegen und der Gewohnheit Platz machen. Sehr schnell wird es für uns selbstverständlich sein, dass wir bei der Ankunft in Frankreich nicht erst einen Geldautomaten suchen müssen, um Francs zu „ziehen“. Sehr schnell werden wir bei dieser Frankreichreise aber auch merken, dass die Milch hier doppelt so teuer wie in Deutschland, der Hamburger aber viel billiger ist.

Nun kann man natürlich auch unterschiedliche Steuergesetze als Teil der europäischen Vielfalt sehen. Man kann aber auch nach den Gründen dafür fragen. Warum kann eine Union, die sich einen gemeinsamen Haftbefehl und eine eigene Eingreiftruppe geschaffen hat, es sich eigentlich leisten, die Wirtschaftspolitik lediglich in unverbindlicher Form zu „koordinieren“? Warum haben Frankreich, Deutschland und Italien zwar eine gemeinsame Währung, treten aber bei G-7-Gipfeln einzeln auf? Je länger die Europäer mit einer gemeinsamen Währung leben, umso mehr werden sie sich mit diesen Fragen beschäftigen. Schon jetzt geben 60 Prozent der Deutschen in Meinungsumfragen an, am Thema Europa „sehr“ oder „ziemlich“ interessiert zu sein, 12 Prozent mehr als im Jahr zuvor.

Die Debatte über die künftige Verfassung der EU, die ein so genannter Konvent ab März dieses Jahres führt, wird durch den Euro daher sehr viel konkreter werden. Die Frage der europäischen Integration bleibt nicht länger ein Thema von Wissenschaftlern, wir alle merken nun, wie sehr sie unseren Alltag bestimmt. Am Ende der Verfassungsdebatte könnte so der Vorschlag stehen, die zentralen Brüsseler Institutionen zu stärken und die Macht der einzelnen Regierungen zu beschneiden.

Eine gemeinsame Wirtschaftspolitik ist aber nicht nur ein Wunsch besonders integrationsfreudiger EU-Staaten, sondern sie wird durch die Einführung des Euro auch zu einer ökonomischen Notwendigkeit. Durch den Druck, die Stabilitätskriterien wie etwa bei der Haushaltsverschuldung einzuhalten, fehlt den nationalen Regierungen nun die Möglichkeit der antizyklischen Gegensteuerung. Konjunkturprogramme auf nationaler Ebene sind also nicht länger möglich und auch nicht sinnvoll. Nur EU-weit kann gehandelt werden; gibt es hier jedoch keine entscheidungsfähige Instanz, kann eine Krise schnell aus dem Ruder laufen.

Letztendlich wird erst eine gemeinsame Wirtschaftspolitik das Ansehen und damit den Wert des Euro in der Welt steigern. Allein auf den Euro wird sich jedoch keine europäische Identität gründen lassen. Doch die politischen Konsequenzen, die die gemeinsame Währung geradezu erzwingt, werden zu einer starken Europäischen Union führen.

Fotohinweis: SABINE HERRE, 39, ist Redakteurin für EU-Politik bei der taz. Zuvor arbeitete sie als Chefin vom Dienst und Osteuroparedakteurin in dieser Zeitung. Von 1989 bis 1992 war die Osteuropahistorikerin Korrespondentin der taz in Prag.

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Der Euro soll europäische Identität stiften. Eine Retortenwährung kann jedoch nicht gemeinsame Kultur, gemeinsame Interpretation von Geschichte und gemeinsame Sprache als Merkmal der Identität ersetzen , meint KATHARINA KOUFEN

Damit Geld mehr ist als nur gemeinsames Zahlungsmittel, muss die Währung als Symbol positiv besetzt sein. Das ist sie, wenn sie im Vergleich mit anderen Währungen als stark gilt. Das ist sie auch, wenn sie für ein Stück gemeinsame Geschichte steht: Viele Deutschen verbinden ihre D-Mark mit dem Wirtschaftswunder der Nachkriegszeit, viele Amerikaner halten ihren Dollar für ein Symbol ihres Herrschaftsanspruchs in der Welt. Deutsche und Amerikaner sind stolz auf ihre Währung, weil sie Stärke widerspiegelt, weil andere Länder ihr Geld an Dollar und D-Mark koppeln.

Beim Euro jedoch ist das anders: Er steht weder für eine gemeinsame Geschichte, noch hat er sich bis jetzt als zweiter, starker Greenback präsentiert.

Dass der Euro weit unter der angestrebten Parität zum Dollar liegt, war in den ersten beiden Jahren nach seiner Einführung 1999 Lieblingsthema zahlreicher Kaffeesatzleser, inzwischen hat man sich an den schwachen Eurokurs gewöhnt. Der plausibelste Grund für den niedrigen Kurs: fehlende europäische Identität.

Der Dollar genießt mehr Vertrauen bei den internationalen Kapitalanlegern, weil in den USA Geld-, Finanz- und Wirtschaftspolitik aus einer Hand gemacht werden, nämlich von der Federal Reserve (Fed) und von der Regierung in Washington. In der Eurozone hingegen ist nur die Geldpolitik einheitlich. Sobald es um Wirtschafts- und Finanzpolitik geht, denken die Franzosen weiterhin französisch, die Deutschen deutsch und die Iren irisch. So erließ die französische Regierung im Herbst 2000 den LKW-Fahrern einen Teil der Mineralölsteuern, weil die Benzinpreise stark gestiegen waren. Die Deutschen erhöhten nach dem 11. September 2001 die Tabaksteuer, um ihr Antiterropaket zu finanzieren. Aus der Sicht der jeweiligen Regierung sind solche nationalen Alleingänge rational: Schließlich muss sich jede Regierung nur im eigenen Land der Wiederwahl stellen. EU-weite Wahlen zu einer wirklich souveränen Europaregierung sind fernste Zukunftsmusik.

Der Euro soll also einerseits eine europäische Identität stiften, leidet andererseits aber selbst daran, dass eine solche Identität fehlt. Die Retortenwährung kann sich auch nicht auf die Schnelle eine Geschichte im Reagenzglas heranzüchten, für die sie dann Symbol sein könnte. Wessen Geschichte sollte das auch sein? Die europäische Geschichte liest sich grundverschieden, je nachdem ob man sie aus französischer oder deutscher Sicht schreibt, ob man Spaniens Interessen vertritt oder Englands, ob man auf der Seite Griechenlands steht oder auf der Italiens.

Eine Währung ist nur eines von vielen Merkmalen, die einen Staat oder eine Nation kennzeichnen. Ein schwaches Merkmal. Wichtiger ist eine gemeinsame Kultur: Komponisten, Schriftsteller, philosophische Schulen, künstlerische Strömungen. Wichtiger ist eine gemeinsame Sprache, wichtiger ist die Festlegung auf eine gemeinsame Interpretation von Geschichte. Seien es Kriege, seien es Bündnisse, Zusammenschlüsse, Eroberungen.

Wer vom Euro als gemeinsamer Währung erwartet, dass sie die Europäer zusammenbringen wird, wiederholt den Fehler, der seit den ersten Verträgen über die Europäische Gemeinschaft immer wieder gemacht wird: die Erwartung, auf die wirtschaftliche Einigung Europas folge mehr oder weniger von selbst die politische. Irgendwann werde es die Vereinigten Staaten von Europa geben, deren Währung Euro heißt und die auf der ganzen Welt begehrt ist.

Denkbar ist jedoch auch das Gegenteil: Der Euro kann die Europäer wieder stärker auseinander bringen. Schon jetzt sehen Skeptiker von links und rechts – die sich in der Eurofrage ungewöhnlich einig sind – im Euro mit seinen strikten Maastrichter Stabilitätskriterien nicht mehr als einen Vorwand zur Durchsetzung der Sparprogramme und des Abbaus von Sozialstandards in den EU-Ländern. Der Euro stiftet Identität – aber derzeit vor allem unter seinen Gegnern.

Fotohinweis: KATHARINA KOUFEN, 31, seit 1999 taz-Redakteurin, ist im Ressort Wirtschaft & Umwelt für Währungspolitik zuständig. Sie studierte Volkswirtschaftslehre, Politikwissenschaft und Spanisch in Köln.