: Der Euro ohne Aura
Bei der „Night of the Euro“ in der Hauptstadt des Geldes bleibt der Erlebnishunger der Frankfurter unbefriedigt
aus Frankfurt/Main HEIDE PLATEN
Die Euro-Nacht in der Hauptstadt des Geldes war bitterkalt und sternenklar. Unten glitzerten Glasscherben, oben funkelten die Sterne und irgendwo zwischen Himmel und Erde kiekste und hüpfte die Viva-Moderatorin Nova Meienhenrich herum. Immer munter rauf und runter turnte sie von Stockwerk zu Stockwerk über die grauen Betonstufen des Rohbaus der Dresdner Bank an der Nordwestecke des Willy-Brandt-Platzes in der Frankfurter Innenstadt. Nur wenige tausend Menschen hatte es aus den warmen Stuben zur „Night of the Euro“ vor die Videowände am Fuße der Europäischen Zentralbank (EZB) gelockt. Die offizielle Performance der „City of the Euro“ war ein eher frugales Fest, Gestolpere und Gedränge auf den dunklen Wegen der Location zwischen zerbrochenen Flaschen, Kabeln der Übertragungswagen, einigen kargen Büdchen, Bratwurst, Brezeln, Apfelwein. Banken, Industrie und die örtliche Wirtschaft hatten gesponsert, den Schaumwein und das Feuerwerk brachten sich die Frankfurter selber mit.
Über deren Köpfen suchte Meienhenrich in den 22 Stockwerken der Baustelle des künftig 100 Meter hohen Galileo-Turmes symbolträchtig nach den Repräsentanten der 12 Euro-Länder, moderierte die karg inszenierten Mini-Auftritte des „europäischen Klangkörpers“, die zum, wie auch anders, „EuroWorld-Song“ zusammengemixt wurden: „With Open Arms“. Alles irgendwie Quiz. Der Kerl mit dem Dreizack? Zeus? Neptun? Nova piepst: „Auf jeden Fall Griechenland.“ Das Frankfurter Bildungsbürgertum trat von einem frierenden Fuß auf den anderen und rebellierte aus vielen Kehlen: „Poseidon!“ Der koreanische Tenor Woo-Kyung Kim schmetterte, aha, Italien, sekundenlang „O sole mio“, die Sängerin Anna-Maria Kaufmann gab kurz „Carmen“, der Domchor Speyer intonierte ein knappes deutsches „Halleluja“. Am Boden kam weniger Andacht als Schadenfreude auf. Die Schokotaler, die die Moderatorin verspeisen sollte, waren tiefgefroren, die Kerzen der französischen Tafelrunde im eiskalten Wind erloschen.
24 Uhr, der Höhepunkt des Abends: Illumination der 15 Meter hohen Euro-Skulptur des Künstlers Ottmar Hörl. Licht an, das blaue Euro-Symbol steht auf blechernen Stelzen wie eine vom Himmel gefallene Leuchtreklame. Auf der Plattform davor halten die Organisatoren die Zelebration kurz und knapp: „Wir haben den Euro in die Herzen der Menschen gebracht.“ Noch ein bisschen Gewedel mit den neuen Scheinen für die Kameras und dann der Schlussakkord, wieder mit dem Domchor Speyer: „Freude, schöner Götterfunken“. Zu viel der Pseudoreligiosität. Die Frankfurter sind Pragmatiker, zündeten Knallfrösche und übten drastische Kunstkritik. Das Denkmal, befindet eine Gruppe Jugendlicher, sei „echt Scheiße“. Und: „Wie kann etwas 15 Meter hoch sein und doch so mickrig aussehen?“ Hörls Skulptur sei, so die Veranstalter dagegen, als „eine politische Arbeit im öffentlichen Raum“ zu verstehen, das Euro-Zeichen ein „feststehendes Symbol, eine Konstante, die gemeinsame Wertestrukturen ausdrückt“, die asymmetrische Anordnung der zwölf weihnachtsgelben Sterne stehe für den „Freiraum der Länder“.
Auch die dosengleichen Stelzen haben durchaus Bedeutung: „Das verleiht dem Ganzen beim Durchlaufen Erhabenheit und Souveränität.“ „Nun ja“, sagt ein Betrachter, „Geld hat eben keine Aura.“ Wer sich bloß das Euro-Zeichen habe einfallen lassen, rätselt ein anderer: „Sieht eigentlich aus wie von einem Huhn gekratzt.“ Auf der Plattform steht der Künstler, Zigarette im Mundwinkel, verlegen herum. Die Menge ist längst in kleine Gruppen separiert, will Geld sehen, drängt vor dem „Zaster-Laster“ eines regionalen Privatsenders. Auch die Schlangen vor den Disco-Kassen am Rande des Platzes haben der Inszenierung den Rücken zugedreht, Familien und Freunde ihre Fete in die wärmeren U-Bahn-Aufgänge und auf die Bahnsteige verlagert.
Da ging dann auch nicht gerade die Post ab, die Frankfurter meckerten gemeinsam. Unbefriedigter Erlebnishunger aber weckte erhöhten Handlungsbedarf. Wildfremde Menschen wünschten einander zuerst ein „Guts Neues!“ und experimentierten dann kollektiv. Nimmt der Fahrscheinautomat nun die Euromünzen an oder nicht? Nein, tut er nicht, auch nicht nach Mitternacht. Jeder zweite ist stattdessen wegen der Umstellung stillgelegt. Die Frankfurter fuhren gemeinsam bargeldlos schwarz ins neue Jahr. Das verbindet. James aus Jamaika muss nicht lange dazu überredet werden: „Tu ich doch immer.“ Die Frankfurter Weltstädter verstehen auf Anhieb: „He is black!“, erläutert ein älterer Herr den Umstehenden. Es wird auch sonst spontan genutzt, was ein Bahnsteig so an Vergnügungen zu bieten hat. Der Euro muss rollen. Die Kondome, Marke „Billy boy“, im Automaten wie gewohnt dezent ganz unten rechts platziert, kosten nur noch drei Euro statt sechs Mark.
Die Bürger der Mainmetropole verzogen sich scharenweise wieder in ihre Stadtteile mit Dorfcharakter. Und da ist dann doch noch etwas los. Vor der Sparkassenfiliale in Bornheim kracht es unentwegt. Privates Feuerwerk, eigenes Event: eine Schlange Euro-Begieriger, die die neuen Scheine sofort wollen. Karte einschieben, „Bitte etwas Geduld“, und die bunten Fünfziger, Zehner, Fünfer werden gewippt, gekippt, mit Sekt begossen und mit Kind und Kegel fotografiert. Der Grieche an der Ecke hat, Poseidon sei Dank, geöffnet, es kann mit Euros bezahlt werden. Das war es dann bis zum nächsten Morgen. Und alles ist ganz normal: Der Bäcker nimmt Euro, der Zeitungshändler ebenfalls.
„Die Menschen werden sich sehr schnell daran gewöhnen“, hatte EZB-Präsident Wim Duisenberg schon am Silvestervormittag auf dem Frankfurter Messegelände vorhergesagt. „Innerhalb weniger Wochen“ würden sich die 300 Millionen Europäer an ihre alten Währungen „gar nicht mehr erinnern“. Er vergab die Preise des Wettbewerbs „Euro-Superstar“ an 24 Kinder aus zwölf Ländern und hoffte darauf, dass der Euro bis zu einem Prozent zum künftigen Wirtschaftswachstum beitragen werde. Außerdem werde die gemeinsame Währung zur politischen Einheit beitragen, „eine eigene Autorität“ entwickeln und dadurch als „ein echter Katalysator für die Integration“ wirken. Duisenberg kündigte an, er werde seinen Präsidentensitz vorerst nicht für einen französischen Nachfolger räumen und weiterhin im Amt bleiben. Er sei für acht Jahre gewählt, sein Rücktritt sei seine „persönliche Entscheidung“: „Und ich habe mich noch nicht entschieden.“ Die Stunde null verbrachte er nicht in Frankfurt und auch bei keiner der anderen offiziellen Feiern in Euro-Land, sondern mit seiner Familie „irgendwo in Europa“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen