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: Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet

Ende der Sechzigerjahre nahm das Genre des Horrorfilms eine neue Richtung. Und die wurde nicht in Hollywood vorgegeben, sondern in der Provinz. In Pittsburgh hatte der Regisseur George A. Romero mit nicht einmal 120 000 Dollar einen Film gedreht, der das Publikum mit Dingen konfrontierte, die man in kommerziell vertriebenen Filmen so noch nicht gesehen hatte. „Night of the Living Dead“ erzählt von Toten, die aus ihren Gräbern zurückkehren und sich von den Lebenden ernähren: Dass Romero die Fressorgien schön detailgenau und blutig abbildete, schockierte eine Nation, die sich gern schockieren ließ – die Billigproduktion spielte rund zwanzig Millionen Dollar wieder ein. Natürlich wurde der Film von der Kritik verrissen, doch man hatte übersehen, dass Romero mehr im Sinn gehabt hatte als nur Gore- und Splattereffekte. Denn „Night of the Living Dead“ handelt vor allem vom Vertrauensverlust in traditionelle Werte. Die staatlichen Stellen sind hilflos und überfordert, das Chaos regiert. Und wenn die zum Zombie mutierte Tochter die eigenen Eltern mampft und der Bruder seine Schwester attackiert, dann bietet auch die Familie keinen Schutz mehr vor der Bedrohung. Der Plot kreist um eine Gruppe von sieben Leuten, die sich vor dem Angriff der Untoten in einem Haus verbarrikadiert. Doch ihr Verhältnis zueinander wird nicht von Solidarität, sondern von Feigheit, Angst und Misstrauen bestimmt – die Notgemeinschaft hat keine Chance. Der letzte Überlebende wird schließlich von einer ballerwütigen Bürgerwehr getötet, die Zombie-Schießen als Freizeitvergnügen entdeckt hat: eine düstere Allegorie auf gesellschaftspolitische Verhältnisse.

„Night of the Living Dead – Die Nacht der lebenden Toten“ (OF) 9.1. im Filmkunsthaus Babylon 1*** Von Hollywood aus betrachtet, kommt auch David Cronenberg aus der Provinz: aus Kanada. Seit den Siebzigerjahren entwirft der Regisseur Horrorszenarien, die geschickt mit menschlichen Urängsten spielen und die Zusammenhänge von Tod und Sexualität erkunden – wobei Wissenschaftler und Ärzte eine nicht unwesentliche Rolle spielen. In „Rabid – Der brüllende Tod“ (1976) experimentieren sie ein wenig am lebenden Objekt, und natürlich geht das schief: Der jungen Frau (Marilyn Chambers), die nach einem schweren Motorradunfall eine Gewebetransplantation über sich ergehen lassen muss, wächst in der Achselhöhle ein blutsaugender Stachel. Zunächst zögerlich, dann mit immer weniger Gewissensbissen sucht sie sich alsbald Opfer, die nach der Infektion eine tollwutartige Raserei befällt. Dominiert in „Rabid“ noch die Trash-Ästhetik, so geht es in „Die Unzertrennlichen“ erheblich eleganter zu. Nicht zuletzt, weil Cronenberg in der Geschichte von der seltsamen gegenseitigen Abhängigkeit der als Gynäkologen arbeitenden Zwillingsbrüder Beverly und Elliot Mantle (Jeremy Irons in einer Doppelrolle) nicht auf plakativen Horror, sondern auf zunehmende Irritation setzt: Wenn Beverly nach der Bekanntschaft mit der Schauspielerin Claire (Geneviève Bujold) versucht, sich aus der Umklammerung des Bruders zu lösen, bricht in die blaugraue Welt der Ärzte nicht nur das verstörend grelle Rot von Operationsszenen ein, auch die beunruhigenden Formen der chirurgischen Instrumente entspringen bereits Beverlys Wahn. Am Ende nimmt selbst ein so alltäglicher Vorgang wie eine Nassrasur monströse Züge an: Das ursprünglich geregelte Universum der Mantle-Zwillinge versinkt in Chaos und Dreck, der zaghafte Abnabelungsversuch endet in Verfall, Wahnsinn und Tod.

„Rabid – Der brüllende Tod“ 3.1.; „Die Unzertrennlichen“ 8.1.-9.1. im Filmkunsthaus Babylon 1*** Im Jahr 1929 machte der sowjetische Regisseur Dziga Wertow den „Mann mit der Kamera“ zum Helden eines Experimentalfilms, der das Kino selbst zum Thema hat und den Einfluss des Aufnahmeapparats auf die Abbildung von Realität verdeutlicht. Zugleich war das Werk auch die Umsetzung der Theorie von der absoluten Filmsprache, die sich von den Hilfsmitteln und Zwängen des Theaters (Schauspieler, Kulissen, Kostüme) befreit.

„Der Mann mit der Kamera“ 6.1. im Filmkunsthaus Babylon 1

LARS PENNING