Rechnen mit Schlangen

Die Umstellung auf Euro führt am ersten Handelstag zum Stau an den Kassen. Kleinhändler stöhnen. Große Läden bevorzugen Mark, damit das alte Geld schnell aus den Portmonees verschwindet

von MARIJA LATKOVIC
und SANDRA PAULI

„Jeder Zweite zahlt mit Euro“, titelte der Infoscreen in den U-Bahnen Berlins. Und wie zur Vergewisserung daneben das Bild einer verklärt lächelnden Kundin. Mit der neuen Währung zahlen, das muss umwerfend sein – scheint es. Sehr schön denkt sich die Betrachterin, aber wo haben sie diese glückliche Käuferin nur aufgetrieben?

In einem von Berlins kleineren Einzelhandelsgeschäften wohl kaum, denn hier führte am ersten Handelstag die Umstellung eher zu langen Wartezeiten, als zu euphorischen Ausbrüchen. Deshalb rät die Verbraucherinitiative den Kunden nicht ungeduldig zu werden, denn „Scheine und Münzen sind für alle Beteiligten neu“.

So mühten sich am frühen Nachmittag Wolfgang Lampe und sein Kollege, Ernst Zumpe, im Kreuzberger Comicladen „Modern“ noch mit langwierigen Wechselgeldberechnungen ab. Gezahlt wurde in Mark, rausgegeben in Euro. Nur wie, das ist den beiden noch nicht völlig klar. Zwei Menschen vor einem Taschenrechner: „Wie war das gleich wieder, also erst der Markpreis in Euro und dann die Differenz. Oder doch anders? Was’n Zirkus!“ Dezentes Fingertrippeln seitens des Comic-Käufers. Sein Wechselgeld hätte er inzwischen bedeutend lieber in der alten Währung, aber das kommt überhaupt nicht in Frage. „Diese ganze Währungsumstellung ist schon superumständlich. Und dazu bringt sie auch noch eine versteckte Preiserhöhung. Zumindest ist das beim Einkauf der Bücher von den kleinen Verlagen zu bemerken“, ärgert sich Lampe.

Auch beim Bioladen „Kraut und Rüben“ geht es drunter und drüber. „Ein Fiasko alles. Uuuuahh“, entfährt es der quirligen Frau an der Kasse. Die zweite Kasse ist kaputt, die Leute stehen Schlange und die Nerven liegen blank. Nein, die große Liebe zum Euro, die kann man hier wohl kaum finden. Probleme nichts als Probleme. Auch das Wechselgeld in Euro parat zu halten, bereitet vor allem den kleinen Läden Schwierigkeiten. „Die Euroversorgung mittelständischer Unternehmen durch die Großbanken war nur halbherzig. Es gibt Institute, die sich nur um große Ketten gekümmert haben und sonst keine Anstrengungen unternommen haben“, berichtet Jan Holzweißig, Eurobeauftragter des Gesamtverbandes des Einzelhandels Berlin.

Kleinhändler wie Daniela Kanoglu werden auch in den nächsten Tagen öfter zum Geldautomaten laufen müssen. „Wenn vor mir aber zehn Leute in der Schlange stehen, kann ich nicht warten, bis ich an der Reihe bin“, sagt die Gemüseverkäuferin. Und wenn man so den Pulk betrachtet, der sich vor den Banken sammelt, weiß man genau, wovon sie spricht. Bis zu einer dreiviertel Stunde will manch einer schon in der Schlange gestanden haben. Darüber können Kanoglu auch die verlängerten Banköffnungszeiten nicht hinwegtrösten. Deshalb gibt sie vorerst nur Kunden, die in Euro zahlen, auch Euro zurück.

Große Konzerne, wie Karstadt oder Kaufhof kann das alles natürlich nur sehr wenig belasten. Wechselgeld ist in mehr als ausreichenden Mengen vorhanden, die Vorbereitung auf die Umstellung läuft schon seit zwei Jahren und die Kassen nehmen den VerkäuferInnen das Rechnen vollständig ab.

Trotzdem freuen sich auch die Großfilialen am ersten Tag nach der offiziellen Einführung der neuen Währung mehr über den Anblick von Mark- und Pfennigstücken. „Je schneller die Kunden ihr altes Geld bei uns loswerden und beginnen in Euro zu zahlen, desto schneller können wir die Kassen ganz auf Euro umstellen“, sagt Detlef Steffens, Geschäftsführer des Kaufhof am Alexanderplatz. Sollte der Handel in den nächsten Tagen ähnlich verlaufen wie gestern, könnten die Kassen bereits in zwei bis drei Wochen vollständig auf Euro umgestellt werden. Aber anders als in der U-Bahn verkündet, bezahlten achtzig Prozent der Kunden ihre Einkäufe am Dienstag noch in Mark. Das hat zumindest der Gesamtverband des Einzelhandels errechnet. „Denn die Leute wollen ihr altes Geld jetzt loswerden“, meint der Eurobeauftragte des Verbandes.

Zumindest für die großen Handelsketten dürfte er mit seiner Prognose, die D-Mark spiele binnen der nächsten zwei Wochen keine Rolle mehr, wohl Recht behalten.