Assoziationskette rückwärts

■ Auf der Suche nach der Chimäre im umgebenden Vakuum: Der amerikanische Künstler Clay Ketter hat dem Alltagsmobiliar neue Ästhetik abgezwungen

Spachtelmasse verdeckt ein Bohrloch auf lindgrünem Panel, vom angeschliffenen Eckenblech werden die Löcher sichtbar, und da, wo einstmals wohl ein Regalbrett war, sind auf der freigelegten Raufasertapete die verlaufenen Lacknasen zu sehen. „Das ist Malerei“, sagt ebenso klar wie erst einmal überraschend die Galeristin Vera Munro über die Wandobjekte des 1961 geborenen Clay Ketter.

Wenn verspachtelter Gips zu kleinen Tafelbildern wird und das große Kitchen Piece aus Ikea-Teilen zu einer Wandskulptur, zeigt die Ausstellung schon in wenigen Stücken die besondere Fähigkeit dieses amerikanischen Künstlers, gewöhnliches Material ästhetisch zu gestalten und mit der bloßen Form soziale Bezüge hervorzurufen. Einerseits werden seine Arbeiten mit den delikaten monochromen Farbuntersuchungen eines Robert Ryman verglichen, andererseits sind sie oft aus Materialien aufgebaut, die im weltgrößten Möbelhaus zu finden sind. Und genau diese Spanne zwischen kunstimmanenter Reflexion und realem Alltag zeichnet sie aus.

Beim üblichen Kult um große Namen wird zu schnell vergessen, wie vorzüglich das Raster eines Bildes von Mondrian als Vorgabe für ein Bücherregal geeignet ist. Schließlich waren auch beim de Stijl die Grenzen zum Design fließend. Doch bei Clay Ketter ist es umgekehrt: Es wird keine rationale Welt mehr auf Papier entworfen, in Öl gemalt und dann vielleicht im Cafehaus gebaut. Hier geht der künstlerisch geschulte Blick vielmehr ins globale Möbelhaus und versucht zu schauen, wo sich über den Nutzen für junge Familien hi-naus dabei ein ästhetischer Mehrwert einfahren lässt. Fast zwangsläufig vergleicht man dabei die Bildtitel mit den hinreichend bekannten Personennamen der Weltfirma: Während dort der gute Freund Billy leicht durchschaubar zum Markennamen eines Regals wird, ist es hier die Person des Künstlers, dem geglaubt werden muss, das hinter der Bezeichnung Eastham with Larry noch ein individuelles Erlebnis steht. Doch selbst wenn auch das nur eine Art Hypermarke sein sollte, reicht das schon als Anstoß zur Reflexion.

Clay Ketter liebt die Idee, seine Kunst sei rückwärts aufgebaut: Von einem zufällig fertig gefundenen Bild im Sinne des Objet trouvé zur aufwendigen künstlerischen Herstellung einer fiktiven Situation. Oder eben von Konzeptionskunst und Minimalismus zurück zur fast renaissancehaften Raumkonstruktion für eine Erzählung. Und ein solcher Gedankenweg von einem Pop-Blick auf Abrissmauern zur europäischen Kunstgeschichte hätte für den seit 13 Jahren in Schweden lebenden Amerikaner ja auch Parallelen zu seiner Biographie.

Die sorgfältig gebauten Objektbilder aus Rauputz und Edelstahl, Türzargen und Industrielacken haben aber auch eine poetische Dimension. Denn ihre stärkste Kraft ist der Verweis auf das, was fehlt. Es ist fast zwangsläufig, dass die Kunstverbraucher diese Arbeiten im Kopf zu ergänzen versuchen und einen teils nostalgischen, teils planenden Blick auf verpasste Chancen und neu sich eröffnende Möglichkeiten bekommen, die mit Abriss, Umzug und Neueinrichtung verbunden sind. So öffnet diese Kunst die Sinne für Scharniersituationen, die im Alltag aus praktischen Gründen meist schnell geklärt und beseitigt werden. Aus Baumarktmaterial und Möbelmarktzeugs wird so ein Andachtsbild über Aneignen und Loslassen. Und in der letztlichen Vergeblichkeit, einige Quadratmeter Wandfläche immer neu und noch optimaler zu gestalten, entsteht vielleicht gar ein fast religiöses Memento mori.

Hajo Schiff

Clay Ketter – New Works, Galerie Vera Munro, Heilwigstraße 64, Di –Fr 10 –13 + 14– 18, Sa 11 –14 Uhr; bis 28. Februar