Das Schwein, gerade richtig für den Menschen?

Viel spricht für ein Organ von der Sau – trotz mancher Vorbehalte. Aber der beste Lieferant für den Menschen ist immer noch der Mensch

BERLIN taz ■ Mitten im Gerichtsverfahren verliert die beleibte Klägerin ihre Beherrschung. „Ein Schwein“, schreit sie und zeigt auf den beklagten Herzchirurgen, „dieser Mann hat mir ein hässliches, fettes Schwein implantiert.“ Eine Szene aus der Anwaltsserie „Ally McBeal“. Zugespitzt sicher. Doch vielleicht kommt es in zehn, zwanzig Jahren wirklich so. Einer Frau musste nach einem Herzinfarkt ein neues Herz transplantiert werden, noch bevor sie das Bewusstsein erlangte und zustimmen konnte. Weil kein menschliches verfügbar war, bekam sie eines vom Schwein verpasst. Damit wird sie nicht fertig: Sie verklagt den Arzt.

Das Schwein ist das Tier der Wahl der Verfechter der Xenotransplantation, also der Verpflanzung tierischer Organe. Es lässt sich leicht vermehren, man hat lange Erfahrung mit seiner Haltung, es wächst bereits in einem Jahr zum erwachsenen Tier heran, sein Energiestoffwechsel ähnelt dem des Menschen und sein Herz hat vor allem die richtige Größe.

Manche hätten gerne einen Affen gewählt, doch die Menschenaffen stehen unter Schutz, haben zumeist nicht die richtige Größe oder lassen sich schlecht züchten. Auch ist der moralische Vorbehalt gegen ihre Instrumentalisierung in der westlichen Welt sehr groß. Da ist der erwartete Widerstand gegen das Schwein viel geringer: Hierzulande ist es die beliebteste Fleischmahlzeit. Jede Deutsche vertilgt im Jahr 40 Kilo davon – das entspricht einem halben Schwein.

Und so würde man Widerstände eher unter Muslimen und Juden vermuten, für die das Schwein unrein ist. Doch werten diese Religionen menschliches Leben sehr hoch – und sind daher recht pragmatisch. Umgekehrt ist es unter Christen keineswegs ausgemacht, sich einfach so Schweineherzen einsetzen zu lassen. In den Unterrichtsmaterialien des evangelischen Religionspädagogischen Instituts in Loccum etwa wird die Xenotransplantation sehr kritisch gesehen. „Beim derzeitigen Forschungsstand ist das Verfahren deutlich und klar abzulehnen“, heißt es da.

Christliche Kirchen als Ganzes stellen sich nicht gegen die Xenotransplantation. Vielmehr überwiegt eine zustimmende Haltung, vermutlich würde den Patienten die Entscheidung überlassen. Nur heißt das nicht, dass sich nun alle fröhlich Schweineherzen implantieren ließen.

Selbst gegen die normale Transplantation vom Menschen gibt es Vorbehalte. Überzeugte Hindus etwa lehnen sie ab, weil der Körper ganz erhalten bleiben muss, um in das nächste Leben übergehen zu können. Und auch weltlich eingestellte Menschen hadern oft mit einer Transplantation, vor allem am Herzen, das traditionell als Heimat unserer Gefühle gilt. So wollen zuweilen Frauen nur das Herz einer Frau eingepflanzt bekommen. Ähnlich steht es mit der Implantation von Hirnzellen, wie es bereits ausprobiert wurde. Bin ich eine Chimäre, ein Mischwesen aus Mensch und Tier? Diese Frage wird durchaus viele Menschen plagen.

Dann ist es vielleicht auch kein Vorteil mehr, dass wir keine Skrupel haben, Schweine zu essen. Schließlich sind uns die Tiere deshalb nicht sympathischer. Im Gegenteil, nicht alte niedliche Haustierrassen wie das Wollschwein prägen unser Bild, sondern die riesigen, blassen Muskelpakete in ihren Spaltenbodenställen. Wer will schon etwas von so einem Biest etwas in sich tragen?

Schon lange drängt der Mensch die Natur zurück, lebt in einer technisch vermittelten Welt. „Um zu überleben, verwandelt der Mensch sich in einen Apparat“, hat Max Horkheimer vor vielen Jahren kritisch angemerkt. Die neue medizinische Entwicklung verleiht dem eine ganz neue Note. Wollen wir nicht nur bildlich, sondern tatsächlich Apparate sein? Und zwar mit genmanipulierten tierischen Implantaten? Schon genmanipulierte Kassler würde kaum jemand anrühren.

Und auch wenn einmal Schweineherzen im OP zur Verfügung stehen, bleibt ein heikles Verteilungsproblem: Dann geht es nicht mehr um die Frage, ob man ein Herz bekommt oder nicht, sondern, ob man ein gutes oder ein schlechtes erhält. Denn auch in Zukunft werden Menschen ihre Organe spenden – und die werden in der Regel besser sein als tierische. Schon weil vermutlich auch nach allen Fortschritten das Immunsystem menschliche Herzen und Nieren immer etwas besser vertragen wird.

Auch für die Schweine wird es keine leichte Sache. Denn es besteht das Risiko, dass sich Schweineviren im Organ in der neuen menschlichen Umgebung so verändern, dass sie auch den Menschen infizieren können. Das führt dazu, das die Spenderschweine klinisch absolut rein gehalten werden müssten ohne Stroh oder Wiesen oder gar frische Luft. Das ist weit entfernt von einer artgerechten Haltung für das neugierige und gesellige Tier. Weshalb viele Tierschützer auch mit der Züchtung von Schweinen als Organlager ganz und gar nicht einverstanden sind. MATTHIAS URBACH