Das Straßenbild

Die Reklamerezension. Heute: Berlin Suarez- Ecke Steifensandstraße, inzwischen leider mehrfach überklebt

Das neue Jahr ist erst wenige Tage alt, da ist es nie verkehrt, noch einmal den Blick zurückzuwerfen auf die Höhepunkte und die Schandmale des soeben erst abgehakten Jahrgangs. Und so präsentieren wir an dieser Stelle unser bislang ungekröntes Highlight. Die goldene Seite-Acht-Werbemedaille für das Jahr 2001 geht an die Kampagne „Hauptsache lecker“ von der Keksfirma Griesson. Hier also die Laudatio.

Werbung ist böse! Das macht sie so charmant. Und am allerbesten ist sie, wenn eine Werbekrähe der anderen ein Auge aushackt. Im vorliegenden Fall haben sich die Werber ganz offensiv in die Schlacht Arm gegen Reich, Cheap gegen Chic gestürzt. Und auf ganzer Linie obsiegt.

Auch die Vorlage, über die sich die Griesson-Werber hier mokieren, das wollen wir an dieser Stelle nicht verschweigen, verdient einige Worte der Bewunderung, denn auch sie war über die Maßen mutig. Sie kam aus dem Hause Versace und war ausschließlich in exklusiven Mode- und Wohnzeitschriften geschaltet. Da saß eine grauenhaft hohl – aber hochnäsig – aussehende Gesellschaftsdame (Gerüchte besagten, es handele sich um niemand Geringeres als Donatella Versace herself) mit einem ebenso hohlen Double in einer furchtbar spießigen, aber offenbar teuren Wohnung herum – geschminkt, als ob es gleich mit dem Chauffeur Richtung Discoteca gehen sollte. Die Haare auf Kessler-Zwillinge in den Sixties gestylt, auf der Nase blau gefärbte Pilotenbrillen. Kurz und gut: Die beiden wirklich nicht mehr blutjungen Damen wirkten nicht eigentlich luxuriös, sondern . . . überflüssig.

Griesson indes! Hier hat man weder Kosten noch Mühen gescheut, den Effekt echter, unverfälschter Billigkeit auf den Punkt und auf die Plakatwände zu bringen. Und das Verblüffende: Es funktioniert! „Design oder Discount?“, fragt uns die Schöne mit der rosaroten Brille und den billigen Discofetzen. Und das Smiley-Männchen kniept uns zu: Ironie, Ironie!

Nicht etwa, dass man nun gleich losrennen würde, sich eine Ladung Soft Cakes zu gönnen. Das nicht. Aber nun fühlen wir uns endlich einmal wieder in der in den Achtzigerjahren verschütt gegangenen Einschätzung bestätigt, dass Design nicht alles ist – oder sein muss. Die Botschaft „Hauptsache lecker“ wischt alle anders lautenden Botschaften fort. Ein Triumph der Menschlicheit. Was zählt, ist letztinstanzlich immer noch der Inhalt.

Im fortgeschrittenen Warenzeitalter war es an der Zeit, die Gewichte neu auszurichten: Wahre Billigkeit kommt immer von innen, Frau Versace!

REINHARD KRAUSE