grauzone
: DANIEL WIESE über Fürsorgepflicht

Klassenkampf in der Sofakneipe

Neulich saß ich mit einem Freund in einer der angesagten Kneipen am Helmholtzplatz. Dort stehen lauter alte Sessel und Sofas herum, von denen kein Stück zum anderen passt. Mein Freund, der um die Ecke in einer dieser teuren Dachgeschosswohnungen wohnt, geht gern dorthin. Die vielen hübschen Mädchen da haben es ihm angetan. Oft sind die allerdings in Begleitung, weswegen sich die Stimmung meines Freundes gelegentlich verdüstert.

Viele sagen, dass die Gegend um den Helmholtzplatz nicht mehr interessant sei, seitdem überall saniert wird. Mein Freund findet das ganz und gar nicht. „Du willst wohl, dass man die Häuser verfallen lässt“, sagt er bei unseren Diskussionen immer. Vielleicht hat er ja Recht. Trotzdem sind viele der Bewohner, die schon in der DDR am Helmholtzplatz lebten, ziemlich sauer, wenn sie auf die Veränderungen zu sprechen kommen.

Einmal eröffnete gegenüber der Sofakneipe eine schicke Ausstellung, bei der lauter Audi-Cabrios vorfuhren. Einige Jungs vom Viertel, die man wohl nicht hereingelassen hatte, kamen zur Sofakneipe herüber und schauten sehr böse, einer brüllte: „So ein Kiez ist das hier geworden!“

Solche Vorfälle interessieren meinen Freund kaum. Er sitzt lieber auf den Sofas und beobachtet das Publikum. Da die Kneipe sehr eng ist, kommt man manchmal mit den Leuten im Nachbarsessel ins Gespräch. Selten ist jedoch eines der hübschen Mädchen dabei.

Mein Freund war daher sehr erstaunt, als sich eines Abends eine Frau zu uns setzte. Offenbar war sie allein. Sie hatte einen Block dabei, in den sie etwas hineinschrieb. „Eine Schriftstellerin“, flüsterte mein Freund. Fünf Minuten später fragte die Frau, ob sie uns zu einem Drink einladen dürfe. Sie müsse mit jemandem reden, man wolle ihr das Kind wegnehmen. Wir waren sehr betroffen, das war natürlich eine Sauerei.

Nur durch Zufall, erzählte die Spendable, seien Polizeibeamte in die Wohnung gekommen. Ihr Freund hatte falsch geparkt, darum standen sie plötzlich vor der Tür. Als die Beamten jedoch den Sohn der beiden zu Gesicht bekamen, der damals wohl gerade einen Hautausschlag hatte, benachrichtigten sie das Jugendamt.

„Was geht die das an“, sagte die Frau, die wohl doch keine Schriftstellerin war. Sie hatte das Gefühl, dass sich alle gegen sie verschworen hatten, die Polizei, das Jugendamt, überhaupt der Staat.

Man wolle sie aus ihrem Viertel vertreiben, das sei die Westpolitik gegenüber dem Osten, sagte die Frau, die überhaupt nicht so aussah, als sei sie verrückt. Sie wisse gar nicht, was das Jugendamt bei ihr zu suchen habe. Sei es nicht ihr Sache, ob sie ihren Sohn zum Arzt schicke? Sie schicke ihn natürlich nicht. Die Vorstellung, dass er sich von fremden Menschen berühren lassen müsse, sei ihr unerträglich.

Mein Freund murmelte etwas mit „Fürsorgepflicht des Staates“ und „abwägen“, aber die Frau war an seiner Meinung nicht besonders interessiert. Je mehr Einwände er erhob, desto mehr redete sie sich in Rage. „Die wollen uns hier raushaben, aber wir werden schon sehen, wer am Ende bleibt!“, rief sie. Am Ende verabschiedeten wir uns etwas überstürzt.

„Typisch“, sagte mein Freund vor der Tür, „wenn sich mal eine Frau zu dir setzt, dann passiert so was.“