Das Erfolgsluder

Anni Friesinger ist die Ariane Sommer des Eisschnelllaufens. Nur dass sie Medaillen gewinnt

BERLIN taz ■ Gerald ist verliebt. In Anni Friesinger. In ihr Internet-Gästebuch hat er geschrieben: „Wos i song wuid, bitte red im Fernsehn einfach bayrisch.“ Er fährt in der Landessprache fort: „Des iss so liab, wenn du redst. I dad am liabsten jedsmoi an Fernseha a buss an d’scheibm hi drucka.“ Wenn Anni Friesinger auf der Mattscheibe erscheint, drängt es Gerald in Landshut also dazu, den Apparat zu küssen. Der Liebeserklärung im Netz folgte sogar ein Heiratsantrag, aber Gerald rechnet sich nicht viel aus, vielmehr vermutet er einen Ansturm von Konkurrenten. Und in der Tat wendet sich weiter unten im Gästebuch ein anderer Verehrer an die Eisschnellläuferin: „Hi Anni, du hast den schönsten Busen der Welt.“

Es kommt nicht von ungefähr, dass in diesen Tagen schmachtende Fans in hormonelle Turbulenzen geraten und Anni Friesinger anhimmeln. In einem bemerkenswerten Interview ließ die Inzellerin tief blicken. „Meine Sportart ist extrem sexy, Erotik pur“, verriet sie der BamS. Zum Sonntagsfrühstück erfuhren die Leser des Boulevardblattes, dass „nichts über einen Eisschnelllauf-Hintern“ geht, jedenfalls kein „Slip Marke ,Arsch frisst Hose‘“. Beim Biss ins Croissant stellte Friesinger ihr keltisches Flammen-Tattoo auf dem Bauch vor, und auch ihr Oberlippenbändchen, das wegen eines Piercings durchbohrt wurde, blieb nicht unerwähnt, bevor ein Exkurs über erotische Fotos folgte. „Aber ohne nackte Brust und Schambereich!“, stellte Anni klar, bevor das Gespräch auf den Höhepunkt zulief – die Luderfrage. Nein, sie sei kein Luder, „denn ich kann Erfolge vorweisen“. Als da wären: Weltmeisterin 2001 im Mehrkampf, Weltcup-Siegerin im gleichen Jahr sowie Europameisterin 2000. Am Wochenende will die 24-Jährige ihre Titelsammlung erweitern. In Erfurt streiten die besten Allrounder Europas um Titel.

Der Berater eines Fußballers würde die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, äußerte sich sein Schützling so freimütig in der Öffentlichkeit. An den Kicker ginge die dringende Empfehlung, bitte schön Phrasen zu dreschen, wenn ihm seine Karriere lieb ist. Im Eisschnelllauf ist Indiskretion hingegen durchaus angebracht, befindet sich die Sportart doch abseits der großen Ströme. Zuschauer und Sponsoren kommen nur zögerlich, die Sportler müssen sie lauthals anlocken. Friesinger ist dafür wie geschaffen. „Sie traut sich, etwas aus dem Bauch heraus zu sagen“, lobt Hubert Graf, Verwalter der Inzeller Eislaufbahn. Durch ihre Vermarktungsoffensive betrete sie freilich „einen schmalen Grat“, spiele „ein Spiel zwischen Privatheit und Exhibitionismus“. Er halte ihre offenherzige Präsenz in den Medien weder für gut noch für schlecht. Es sei ihre persönliche Angelegenheit, sie sei eben so: gerade heraus, sagt, was sie denkt. Zum Beispiel, dass sie sich auf knackige, junge Männer in Salt Lake City freue. „Wir kennen sie so gut“, erzählt Graf, „dass wir nicht jedes ihrer Wort auf die Goldwaage legen.“ Und überhaupt sei es „allemal besser, eine Athletin mit dem gewissen Touch zu haben als eine graue Maus“.

Um das gewisse Etwas kümmert sich Friesingers Manager Klaus Kärcher, der sich auf „flippige“ Typen spezialisiert hat. Von der 24-Jährigen schwärmt er: „Eine Klassefrau.“ Und wenn sie im Februar auf dem Utah Olympic Oval Gold holt, wird der Jubel groß sein – und sich womöglich noch ein paar Geldgeber mehr melden. Eine Versicherung und ein mittelständisches Unternehmen sind schon an Bord. Eisbahn-Verwalter Graf wundert sich derweil, dass „die Anni“ immer schwerer zu erreichen ist. Selbst er muss übers Management gehen, um mit ihr Termine zu koordinieren. „Die ist gnadenlos verplant“, sagt er.

In Inzell mit seinen 4.200 Einwohnern gilt Anni Friesinger als „Werbeträger Nummer 1“. Ein Gemeindevertreter bestätigt dies auf Anfrage gerne. Alles, was sie tut, werde ohne Einschränkung gut geheißen, ohnehin habe sie nur eine begrenzte Zeit, um sich solcherart zu präsentieren. „Wer macht das nicht?“, fragt er. Ihre Konkurrentinnen zum Beispiel, könnte die Antwort lauten. Vielleicht bezweifelt deshalb ein Besucher auf Friesingers Homepage die Aussage, Eislaufen sei sexy. „Also, wenn das stimmen würde“, schreibt der und bringt eine etwas stämmig wirkende norwegische Läuferin ins Spiel, „dann wäre Edel Therese Hoiseth für mich das Playmate des Jahrtausends.“ MARKUS VÖLKER