Jahrzehntelang Arbeit für die Minenräumer

Nach 22 Jahren Krieg und Bürgerkrieg liegen Millionen von Minen auf afghanischem Boden. Jetzt sind US-Streubomben dazugekommen

GENF taz ■ Bereits vor dem 7. Oktober, dem Beginn der US-Angriffe, war Afghanistan nach Angaben der UNO das am stärksten mit Minen verseuchte Land der Erde. Aus Zeiten der sowjetischen Besatzung zwischen 1979 und 1989 sowie der nachfolgenden Bürgerkriege liegen hier noch rund zehn Millionen nicht explodierter Antipersonenminen, Panzerminen und Sprengfallen. Inzwischen sind tausende amerikanischer Streubomben dazugekommen sowie Minen, die die Taliban und die sie bekämpfenden Allianzen im Norden und Süden des Landes bis Ende November verlegten.

Seit dem Abzug der sowjetischen Truppen arbeiten in Afghanistan zahlreiche private Minenräumorganisationen aus verschiedenen Ländern. Die größte und bekannteste ist der britische Halo Trust, der schon in Angola, Mosambik und Kambodscha Erfahrungen sammelte. Auch das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) und Medico International engagieren sich. Lose koordiniert wird die Arbeit seit einigen Jahren von dem in Kabul ansässigen Minenprogramm der UNO für Afghanistan (Unmapa). Die ausländischen Organisationen arbeiten mit einheimischen Partnerorganisationen zusammen. Bisher wurden über 4.600 afghanische Minenräumer von den internationalen Organisationen ausgebildet. Doch konnten in den letzten 13 Jahren nur 70.000 Landminen – die je nach Typ bis zu 60 Jahre scharf bleiben – unschädlich gemacht und geräumt werden.

Besondere Probleme bereiten den Minenräumern die alten Plastikminen sowjetischer oder chinesischer Produktion – vor allem wenn diese unterhalb der Erdoberfläche liegen. Mangels Metallgehalt können sie mit Detektoren nicht aufgespürt werden. Aber auch die „Schmetterlingsminen“ – grüne Plastikminen in Schmetterlingsform, die von sowjetischen Kampfhubschraubern abgeworfen wurden und auf der Erde liegen blieben – sind eine erhebliche Gefahr vor allem für Kinder, die sie für Spielzeug halten.

Bislang sind nur zwei der 30 afghanischen Provinzen wieder völlig minenfrei. Nach Statistiken der UNO wurden bis September täglich rund zehn Afghanen von explodierenden Minen getötet oder verstümmelt. Mit Beginn der US-Luftangriffe hat sich die Gefahr für die Zivilbevölkerung noch erheblich verschärft. Die Minenräumtrupps mussten ihre Arbeit für sechs Wochen ganz einstellen. Zudem trafen Bomben Mitte November das Gebäude der Unmapa in Kabul und zerstörten Räumfahrzeuge und -geräte im Wert von 1,5 Millionen Dollar. Flüchtlinge gerieten auf der Suche nach Wasser, Brennholz oder Nahrungsmitteln in vermintes Gebiet. Zahlreiche Menschen wurden bereits in den letzten zwei Monaten Opfer nicht explodierter Streubomben – oftmals weil diese Bomben in ihrer Farbe und Form stark den Nahrungsmittelpaketen ähnelten, die die US-Luftwaffe gleichzeitig abwarf.

Nach Angaben einer UNO-Sprecherin in Kabul liegen rund 30 Prozent der von den USA eingesetzten Streubomben noch unexplodiert auf afghanischem Boden. Bevor sie geräumt werden können, müssen Minenräumer mit dieser bislang nur im Golfkrieg 1991 und im Jugoslawienkrieg von 1999 eingesetzten Waffe vertraut gemacht werden. Zugleich drängen jetzt nach Ende des Krieges immer mehr der rund sieben Millionen Flüchtlinge oder Binnenvertriebene auf möglichst schnelle Rückkehr. Seit Anfang Dezember sind laut UNO-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) mindestens 40.000 Menschen auf eigene Faust in ihre zum Teil erheblich verminten Heimatregionen zurückgekehrt.

Wie schnell Afghanistan von den Minen und Streubomben befreit werden kann, ist ganz wesentlich auch eine Geldfrage. Die Beseitigung der tödlichen Überbleibsel aus 22 Jahren Krieg und Bürgerkrieg würde nach Einschätzung der Unmapa mindestens 1,1 Milliarden Dollar kosten. Daran gemessen sind die einstelligen Millionensummen, die die USA und einige andere Länder in den letzten Wochen fürs Jahr 2002 in Aussicht gestellt haben, nur Tropfen auf einen heißen Stein.

ANDREAS ZUMACH

Siehe auch Portrait SEITE 10