Von Beruf Ekstatiker

Personen des öffentlichen Lebens in der Mongolei. Heute: Dr. Hartsaga Davaatseren

Vor den Wahlen kommen viele Politiker zum Schamanen, der ihnen die Zukunft wahrsagt

Der 70-jährige Veterinär aus Ubsu-Aimag lebt als hauptamtlicher Schamane in Ulan-Bator. Er ist Vorstandsmitglied in der Allasiatischen Schamanistischen Vereinigung, Ehrenmitglied der Internationale der Schamanen, Vorsitzender der Mongolischen Gesellschaft für Wissenschaftlichen Schamanismus und Erster Schamane seines Landes.

Im vergangenen Jahr hielt Dr. Hartsaga Davaatseren auf der zweiten Konferenz über „Natur, Mensch und Kultur“ in Ulan-Bator einen Vortrag zum Thema „Naturschutz und Schamanismus“. Darin führte er aus, dass der Schamanismus die älteste Religion der Mongolei sei, der Buddhismus kam erst 1639 ins Land. Die alten Nomaden waren Teil des Ökosystems, ihr Glaube reflektierte die Erde, den Regen, die Flüsse, die Pflanzen und Tiere sowie die Kräfte der Himmelskörper. Die Schamanen versuchten daraus Glück und Schicksal des Einzelnen zu bestimmen. Und dieser bemühte sich wiederum, allen Mächten die Ehre zu erweisen und sie mit Opfergaben gnädig zu stimmen. Die höchsten befanden sich im Himmel. Aber es gab 99 Himmel, davon 55 westliche, die gut für den Menschen sind, und 44 östliche, schlechte.

Jeder Schamane hat einen Schutzgeist. Dieser ist quasi sein Transmissionsriemen für die Kommunikation mit den himmlischen Mächten. Für die Kontaktaufnahme gibt es „heilige Orte“ in jeder Region, weitere bestimmt der Schamane mit aufgehäuften Steinen, in deren Umgebung nicht gejagt, gefischt oder rumgemüllt werden darf, auch das Autowaschen ist dort verboten. In den alten Zeiten versammelten sich die Menschen an diesen Orten, beteten und bemühten sich, die Umgebung nicht zu verändern. Das war ein Naturschutz ohne Gesetze. „Bei meinem Geburtsort gibt es zum Beispiel den heiligen Berg Bayan-Hairhan. Zwei habsüchtige Menschen stahlen dort vor einiger Zeit die Opfergaben. Ihre Kinder wurden daraufhin von einer Nymphe böse zugerichtet. Aber nicht nur sie, sondern die ganze Umgebung war betroffen: Es kam zu einer Dürreperiode und somit zu einem großen Futtermangel im Winter. Dann stürzte auch noch ein Flugzeug mit Hilfslieferungen genau an diesem Ort ab, wobei vier Mongolen und sechs Ausländer starben. Wir lernen daraus, dass man nicht gegen die Natur handeln darf. Mehr noch: Man braucht ein genaues Wissen über sie. Früher wussten die Nomaden noch, welche Nymphe in welchem Fluss oder See lebte und wie das jeweilige Wasser behandelt oder benutzt werden musste. Diese tausendjährige Volksahnung ist leider immer mehr verschüttet worden – durch Verstädterung, Industrialisierung, Kommunismus etc. Heute muss man die alten Tabus durch neue Gesetze stützen, wenn das nicht geschieht, schlägt die Natur irgendwann zurück. Flankierend dazu gibt es die Schamanen, die an besonderen Tagen sowohl die eine Seite als auch die andere Seite überreden, sich zu arrangieren. Der Schamanismus ist kein Aberglaube, sondern Naturwissen – und die ,heiligen Orte‘ sind Zentren von Naturschutzgebieten. Ein Sprichwort lautet: Wenn die Winterkatastrophe kommt, werden die Hunde fett, wenn die Sorgen kommen, werden die buddhistischen Mönche dick.“

Jeder Schamane hat seine eigenen Formeln und Lieblingselemente. Dr. Davaatseren, der bereits Schamane in der siebten Generation ist (seine 43-jährige Tochter Densmaa wird ihm nachfolgen), schwört auf seine Feuerzaubersprüche. Der Zeitung Noyod & Hatagtai (Ladies & Gentlemen) erklärte er: „Die Nomaden benutzen den Rinder- und Pferdemist zum Heizen, ich kann aus Pferdemist ohne Streichhölzer nur mit Pusten Feuer machen. Und Hautkrankheiten heile ich mit einem glühendem Metall, das ich bespreche.“ Wie die meisten Schamanen hat auch Dr. Davaatseren einen Spiegel, mit dem er wahrsagt. Speziell vor Wahlen kommen viele Politiker zu ihm.

Zu den wichtigsten schamanistischen Praktiken gehört die Ekstase. Dr. Davaatseren erlebte seine erste eigene Ekstase mit 40 Jahren. Zuvor hatte seine Mutter ihn zu ihrem Nachfolger bestimmt und die heiligen Gegenstände (Trommel und Kleidung) übergeben, außerdem hatte sie zu ihm gesagt: „Irgendwann wirst du in der Ekstase etwas Gefährliches sehen, du brauchst dich nicht davor zu fürchten, es bedeutet, dass du deine eigene Ekstase gefunden hast.“ Als richtiger Schamane dürfe er nun niemanden mehr verfluchen. Der mongolischen Jugendzeitung Mongoliin Zaluuchuud erzählte Dr. Davaatseren, dass es heute leider viele Schamanen gebe, die sich aufs Verfluchen verlegt hätten. Er ziehe es jedoch vor, den Leuten durch Aufzeigen ihrer Lebensmöglichkeiten zu helfen: „Einem Geschäftsmann sage ich, dass er von diesem oder jenem Geschäft besser die Finger lassen soll.“ DONDOG BATJARGAL ,

GHOSTDOG HÖGE