Westgeld verlängert Reaktorleben

Eigentlich sollte der Atomreaktor Sosnovij Bor 2003 abgeschaltet werden. Jetzt hat er eine neue Betriebsgenehmigung

STOCKHOLM taz ■ Was für ein Jubiläum: Im kommenden Jahr, also 2003 – daran muss man sich erst noch gewöhnen – wird der älteste der vier Atomreaktoren des AKW Sosnovij Bor 30 Jahre als. Und eigentlich sollte der vor den Toren von St. Petersburg liegenden Block just zu diesem Jubiläum abgeschalten werden. Eigentlich. Denn für dieses Versprechen der russischen Regierung floss viel Geld aus dem Westen, um die schlimmsten Sicherheitsmängel beheben zu können.

Doch jetzt hat es sich die Betreibergesellschaft anders überlegt: Zehn bis fünfzehn Jahre, so gab sie gerade bekannt, solle der Block weiterlaufen. Begründung: Die Westhilfe habe ihn so sicher gemacht, dass es rausgeworfenes Geld wäre, ihn stillzulegen. „Genau das, wovor wir vor Jahren gewarnt haben“, erklärt Oleg Bodrow von der russischen Umweltschutzorganisation „Zelonyi Mir“ („Grüne Welt“).

Die vier 1.000-Megawatt-Reaktoren des AKW Sosnovij Bor sind vom Tschernobyl-Typ RBKM-1.000 und liegen nur 100 Kilometer von Helsinki entfernt. Seit Beginn der Neunzigerjahre hatten die nordischen Länder daher in die Sicherheitstechnik der Reaktoren investiert, die damals auf der Liste der zehn gefährlichsten AKWs der Welt aufgeführt waren. Die Europäische Wiederaufbau- und Entwicklungsbank (EBRD) hatte sich 1995 mit rund 30 Millionen Euro angeschlossen. Die russischen Behörden hatten 1995 verkündet, Anlagen zur Produktion von Ersatzenergie zu schaffen, die ab 2003 Strom liefern sollten. Spätestens 2011 solle der letzte Reaktor vom Netz gehen. Tatsächlich aber wurde der Bau dieser Kraftwerke bis heute nicht begonnen.

Karsten Klepsvik, Sprecher des norwegischen Außenministeriums, bestreitet, von der russischen Atommafia über den Tisch gezogen worden zu sein: „Wir hatten ja ein wohlverstandenes Eigeninteresse, dass die Sicherheit dort verbessert werden würde.“ Klepsvik lässt wissen, dass Oslo gegen die Betriebsverlängerung protestiert hat.

Sergej Kharitonov von Zelonyi Mir – er arbeitete von 1973 bis 2000 selbst im AKW – sieht nicht, dass das Westgeld die Sicherheit verbessert hat: „Bessere Technik hilft wenig, da es an qualifiziertem Personal fehlt. Es herrscht Korruption, es wird geschlampt und gestohlen.“ Im vergangenen Sommer bedurfte es wochenlanger Streikaktionen, bis mehrere Monate rückständige Löhne ausgezahlt wurden. Die Außensicherung ist minimal, das auf dem Werksgelände befindliche Lager für abgebrannte Brennelemente ist überfüllt. Selbst die Betriebsleitung räumt ein, dass dort mittlerweile 40 Prozent mehr an Brennstäben lagerten als konziptionell vorgesehen. Der Brandchef von Sosnovji Bor sagte, es sei „ein bloßer Zufall“ sei, dass bislang noch kein Unglück geschehen sei.

Laut Zelonyi Mir sind es neben lohnenden Stromexporten nach Finnland und dem Baltikum vor allem die Investitionspläne westlicher Firmen in Russland, welche die Betreiber veranlasste, die Betriebsdauer zu verlängern. Die US-Firma Alutech plant den Bau einer Aluminiumschmelze in unmittelbarer Nachbarschaft. Bestes Investitionsargument: der billige Atomstrom.

REINHARD WOLFF