Taliban-Botschafter den USA ausgeliefert

Die US-Armee hält den ehemaligen Vertreter der Koranschüler in Pakistan, Mullah Saif, auf einem Kriegsschiff fest und verhört ihn. Pakistan ließ ihn zuvor an die afghanische Grenze bringen. Umstände der Übergabe bleiben unklar

BERLIN taz ■ Im Gegensatz zum Aufenthaltsort Ussama Bin Ladens oder Mullah Mohammad Omars ist bekannt, wo sich Mullah Abdul Salam Saif aufhält. Der ehemalige Botschafter der Taliban in Pakistan befindet sich in der Gewalt der US-Streitkräfte und wird an Bord des Kriegsschiffes „Bataan“ verhört. Dort wird er nach den Worten eines hohen US-Vertreters in Washington „wie die anderen Gefangenen“ behandelt. Die USA erhoffen sich Aufschluss über die Verbindungen der Taliban zum Al-Qaida-Netzwerk.

Wie Mullah Saif auf das Schiff gelangt ist, ist schon weniger klar. Das pakistanische Innenministerium erklärte Samstag, der 34-jährige Paschtune sei nach Afghanistan abgeschoben worden. Ob er den dortigen Behörden oder dem US-Militär übergeben wurde, ist nicht bekannt. Saifs Familie – darunter zwei Frauen und sechs Kinder – dürfte noch „etwas länger“ im Land bleiben, hieß es. Zuvor hatte Saif angekündigt, er werde vor Gericht um Asyl kämpfen. „Ich bin kein Krimineller. Ich habe den Taliban als Diplomat gedient“, sagte er noch am Donnerstag vergangener Woche gegenüber der Nachrichtenagentur AIP.

Ehe Saif nach dem 11. September von der Veranda seiner Botschaftsresidenz in Islamabad aus eine internationale Pressekonferenz nach der andern gab, war er im Ausland kaum bekannt. Er gehörte ursprünglich zu den in Pakistan ausgebildeten Koranschülern, die sich angesichts des Chaos in Afghanistan nach dem Abzug der sowjetischen Truppen Mullah Omar anschlossen. Im Jahre 1994 griff er mit einer Gruppe von etwa dreißig Gleichgesinnten, die 16 Gewehre besaßen, einen Warlord in Südafghanistan an, von dem es hieß, er habe zwei Mädchen entführt und vergewaltigt. Er wurde erhängt. Zwei Jahre später eroberten die Taliban Kabul.

Seinen Posten in Islamabad erhielt er vor über einem Jahr, vermutlich weil er wenigstens etwas Englisch sprach. Sein Freund Rahmin Yusefzai, Herausgeber von The News in Peschawar, sagte über ihn zur Zeitung Baltimore Sun: „Er ist kein ausgebildeter Verhandlungsführer. Er ist kein Diplomat. Aber für ein Land wie Afghanistan ist das okay.“ Yusefzai beschreibt Saif als einen eher schüchternen Mann; Journalisten zufolge, die seine Auftritte erlebt haben, hat er Sinn für Humor.

Mit seinen Auftritten wurde Saif für die internationale Öffentlichkeit zu Gesicht und Stimme der Taliban. Fast täglich attackierte er die US-Luftangriffe gegen Afghanistan und sparte oft nicht mit anschaulichen Details über die Opfer und das Leiden des Landes unter den amerikanischen Schlägen. „Mit jedem Tag offenbart sich das unmenschliche und brutale Gesicht Amerikas mehr. Bislang wurden 1.000 unschuldige Afghanen durch die amerikanischen Luftangriffe getötet, darunter Männer, Frauen und Kinder“, sagte er beispielsweise am 22. Oktober, zu einer Zeit also, in der solche Angaben kaum zu überprüfen waren.

Für den bebrillten Botschafter und Propagandisten der Taliban sprach auch die Zeitverschiebung. Wenn Saifs Botschaften über die Bildschirme gingen, war es in Washington noch Nacht. Über halbe Tage hatten die Botschaften Saifs beispielsweise in Europa die Medienaufmerksamkeit für sich, bevor das Pentagon reagierte. Daher richteten die USA und Großbritannien in Pakistan ein eigenes Medienzentrum ein, um das Propagandaterrain nicht den Taliban zu überlassen.

Und doch gab es zeitweise Spekulationen, Saif sei ein „gemäßigter“ Taliban, der einen Platz in der Übergangsregierung nach dem Sturz des Regimes haben könnte. Daraus wurde bekanntlich nichts. Nachdem die pakistanische Regierung die Taliban-Botschaft Mitte November geschlossen hatte, beantragte er politisches Asyl. Auch daraus wurde nichts. BEATE SEEL