Motorrad-Mullah auf der Flucht

Taliban-Führer Mullah Omar entkommt den Amerikanern erneut. Libyscher Ausbilder der al-Qaida dagegen wurde festgenommen. Kritik an US-Taktik

von BARBARA OERTEL

Es hat unbestreitbar mehr als nur einen Hauch von Freiheit und Abenteuer, wie der nach Ussama Bin Laden von den USA meistgesuchte Mann seinen Häschern noch einmal entkommen ist: Der einäugige Taliban-Chef Mullah Mohammad Omar entwischte aus Baghran, um das US-Kräfte und Anti-Taliban-Kämpfer ihren Ring schlossen, auf einem Motorrad. Dies meldet der afghanische Geheimdienst. Bei dem Ort im Norden der Provinz Helmand verhandelte gerade der Taliban-Kommandeur Abdul Ahad, der sich mit rund 1.500 Kämpfern in einem Dorf verschanzt hatte, über eine Kapitulation, um in den Genuss der von Afghanistans neuem Regierungschef Hamid Karsai verkündeten Amnestie für Gotteskrieger aus der zweiten Reihe zu kommen. Vier Unterstützer sollen Mullah Omar auf der Flucht begleitet haben.

Bereits am 7. Dezemeber vergangenen Jahres, als mit Kandahar die letzte Hochburg der Taliban fiel, hatte der islamistische Hardliner, über den im Westen nur wenig bekannt ist und von dem kaum ein Foto existiert, rechtzeitig das Weite gesucht. Nasratullah Nasrat, Mitarbeiter des afghanischen Geheimdienstes, bemühte sich am vergangenen Wochenende um Schadensbegrenzung. „Wir sind sicher, dass er nicht entkommen kann und wir ihn festnehmen werden“, sagte er. Einer seiner Kollegen, der seinen Namen lieber nicht nennen wollte, sprach davon, den Aufenthaltsort des Flüchtigen zu kennen. „Aber“, sagte er, „wir können ihn zum jetzigen Zeitpunkt nicht bekannt geben.“

Offensichtlich scheint der Kenntnisstand zu Omar im afghanischen Übergangskabinett nicht gerade einheitlich zu sein. „Mullah Omar war niemals eingekesselt und festgenommen. Jetzt weiß niemand, wo er ist“, sagte ein Mitarbeiter des afghanischen Verteidigungsministeriums und trat damit Gerüchten von vergangener Woche entgegen, Mullah Omar sei von Truppen eingekreist, ja bereits verhaftet worden. Auch auf US-amerikanischer Seite herrschte Ratlosigkeit. Der US-Geheimdienst nehme an, teilte der Kommandeur der US-Streitkräfte in Afghanistan, General Tommy Franks mit, Mullah Omar halte sich in der Nähe von Baghran und Deh Rahwood auf, Genaueres wisse man aber nicht. Der erneute Fehlschlag, Mullah Omars endlich habhaft zu werden, wirft nicht das beste Licht auf die seit drei Monaten andauernde US-Militäraktion in Afghanistan – zumal auch von Ussama Bin Laden, dem mutmaßlichen Drahtzieher der Anschläge vom 11. September 2001, bislang noch jede Spur fehlt. Da passte es ganz gut, wenigstens zwei Erfolge gegen hochrangige Taliban und Repräsentanten des Al-Qaida-Netzes präsentieren zu können. So befindet sich mit Mullah Abdul Salam Zaeef, dem letzten Botschafter der Taliban mit Sitz in der pakistanischen Hauptstadt Islamabad, seit vergangenem Sonnabend der bisher höchstrangige Taliban in US-Gewahrsam (siehe Text unten). Mitgewirkt an der Aktion hatte der pakistanische Geheimdienst, der Zaeef am vergangenen Donnerstag in Pakistan festnahm.

Ergriffen wurde überdies auch Ibn al-Shaykh al-Libi. Der Libyer, der für die paramilitärische Ausbildung von Al-Qaida-Mitgliedern verantwortlich zeichnet, wird in US-Kreisen als einer der engsten Mitarbeiter von Abu Zubaydah, einem der wichtigsten Berater von Ussama Bin Laden, gehandelt. Sein Name tauchte in Zusammenhang mit al-Qaida auf einer Liste mit Namen von Einzelpersonen und Organisationen auf, deren Vermögen US-Präsident George W. Bush am 26. September 2000 als Reaktion auf die Terroranschläge hatte einfrieren lassen. Dennoch sind die nach US-amerikanischer Lesart prominentesten Protagonisten des Terrors nach wie vor auf freiem Fuß. Gleichsam als Beruhigungspille, gab das Pentagon am Wochenende bekannt, die US-Streitkräfte hätten immerhin bereits 273 Mitglieder von al-Qaida in ihrer Gewalt. Um wen es sich dabei genau handelt, behielten die Verantwortlichen lieber für sich.

Nach Berichten der Washington Post von Sonnabend spekulieren einige Militäranalytiker schon jetzt darüber, ob es angesichts der jüngsten Rückschläge überhaupt klug sei, afghanischen Truppen die Führung der Bodenoperationen anzuvertrauen. „Hier wie schon in der Vergangenheit gerät die US-Strategie ins Trudeln“, schrieb Loren Thompson, Chefin des Lexington Institutes für Verteidigungspolitik in Virginia, in der Washington Post. „Denn sie ist diktiert von der Furcht vor Verlusten bei den US-Streitkräften.“