Die Konkurrenz der Messerwetzer

Einen Tag vor der Klausurtagung in Wildbad Kreuth wurde Edmund Stoiber von Merkels Bekenntnis kalt erwischt – und erklärte seine eigene Bereitschaft

aus München PATRIK SCHWARZ

Auf einmal soll alles ganz selbstverständlich sein. So als hätte Angela Merkel nicht monatelang alle Fragen nach der Kanzlerkandidatur abgebügelt. Als hätte sie nicht mit ermüdender Monotonie ihr Sätzchen abgespult, sie und Edmund Stoiber würden die Frage gemeinsam entscheiden. „Ich bin bereit zu einer Kanzlerkandidatur“, verkündete sie jetzt in der Welt am Sonntag, den Anspruch auf die Spitzenposition bezeichnet sie als „gleichsam selbstverständlich“. Dabei ist die Ankündigung nicht weniger als ein Doppelschlag: Die CDU-Vorsitzende sagt ihrem Konkurrenten von der CSU öffentlich den Kampf an – und kündigt damit das gemeinsam vereinbarte Stillhalteabkommen auf, das sie erst auf dem Dresdener CDU-Parteitag vor einem Monat von den Delegierten hat zementieren lassen.

Merkels Ansage war ein Ausfallschritt in großer Not. Seit Wochen muss die Politikerin lesen, dass an allen Ecken und Enden ihrer Partei der Zuspruch für den Bayern zunimmt. Die CDU-Ministerpräsidenten Peter Müller (Saarland), Bernhard Vogel (Thüringen), Erwin Teufel (Baden-Württemberg) und Roland Koch (Hessen) sollen sie mal lauter, mal leiser zum Verzicht drängen. Bei den Bundestagsabgeordneten hat der Fraktionsvize Wolfgang Bosbach, immerhin selbst Christdemokrat, eine 70- bis 80-prozentige Mehrheit für Stoiber als Kanzlerkandidaten ausgemacht.

Die Unterstützung für Merkel bleibt dünn. Da ist Hermann-Josef Arentz, dessen Arbeitnehmerorganisation CDA nur noch begrenztes Gewicht hat. Da ist Maria Böhmer, deren Frauenunion traditionell nicht auf Konfrontation orientiert ist. Und da ist Ulla Heinen, die als Vorsitzende der Jungen Gruppe in der Fraktion nicht mal die eigenen Mitglieder hinter sich weiß. Selbst Jürgen Rüttgers, Vorsitzender des mitgliederstärksten Landesverbandes Nordrhein-Westfalen, bekundet seine Merkel-Sympathie allenfalls hinter vorgehaltener Hand. Wenn die CDU-Chefin Hilfe braucht, muss sie sich selbst helfen: „Ich bin bereit zu einer Kanzlerkandidatur.“

Zwar unterstellen ihr Stoiber-Freunde nun, sie wolle nur den Preis für ihren Verzicht in die Höhe treiben. Doch der bayerische Ministerpräsident wurde von dem Merkel-Manöver kalt erwischt. Schnell schob er ein eigenes Bekenntnis nach. „Wenn es von beiden Parteien gewünscht wird, bin ich bereit, mich in den Dienst der gemeinsamen Sache stellen zu lassen“, sagte er der Welt. „Ich kenne meine Verantwortung als Parteivorsitzender auch für die Union insgesamt.“

Stoiber feilt an seinen eigenen Gemeinheiten, die allerdings subtilerer Natur sind. Er bemühte sich am Wochenende, Merkel in zwei wichtigen organisatorischen Fragen auf ein Verfahren festzulegen, das seine Chancen verbessert: beim Zeitplan und beim Notfallplan. „Wenn wir keine einheitliche Entscheidung zustandebringen sollten“, baute der Taktiker aus Bayern vor, „dann wird logischerweise die Bundestagsfraktion eine Empfehlung abgeben“. Wie diese – logischerweise – ausfallen wird, hat Wolfgang Bosbach schon vorausgesagt. Merkel will darum von der Fraktionsmitsprache nichts wissen und warnt säuerlich davor, „ein Scheitern unseres Gespräches“ vorwegzunehmen.

Offenbar hofft die CDU-Vorsitzende, den Konkurrenten am ehesten durch Zermürbungstaktik weich zu kriegen. Dafür braucht sie Zeit. Die ursprüngliche Vereinbarung der beiden Parteichefs sah eine Einigung „Anfang des Jahres“ vor. Merkel wiederholte gestern: „Wir stehen nicht unter Zeitdruck.“ Sie sprach von „Wochen“, die das Verfahren noch dauern könne. „Der geeignete Zeitpunkt ist gekommen“, erklärte Stoiber dagegen, „die Entscheidung sollte noch diesen Januar fallen.“ Darin hat er nun auch Merkels Parteifreund Friedrich Merz auf seiner Seite, den Vorsitzenden der gemeinsamen Bundestagsfraktion. Merz fürchtet, eine Union ohne Kandidaten werde zum Gespött der Büttenredner: „Wir sollten die Entscheidung nicht über die Karnevalszeit hinauszögern.“ Stattdessen wird sich das Theater auf die zwei bevorstehenden Klausurtagungen von CSU und CDU konzentrieren. Von Montag bis Mittwoch versammeln sich die Christsozialen in Wildbad Kreuth, am Freitag und Samstag trifft sich der CDU-Bundesvorstand in Magdeburg. Wechselseitige Besuche der Kandidaten-Kandidaten sind nicht geplant – man hat sich offenbar nichts mehr zu sagen. Jetzt tritt zutage, was die beiden Parteichefs mit ihrem Zuwarten um jeden Preis vermeiden wollten: eine offene Konkurrenz, an deren Ende nur ein Kandidat, aber zwei Verlierer stehen können.

„Durch die Auswahl des Kandidaten dürfen keine Verletzungen entstehen“, sorgt sich Stoiber bereits und versucht, der Konkurrentin eine Brücke zu bauen: „Frau Merkel wird – so oder so – eine dominante Rolle in der deutschen Politik spielen.“ Das Dilemma bleibt: Die Mehrheit der Parteifunktionäre favorisiert Edmund Stoiber, aber ohne Angela Merkels Zustimung wird er nicht Kanzlerkandidat. Wen man auch fragt in der Union, so recht fällt derzeit niemandem ein Weg ein, wie aus der Konkurrenz der Messerwetzer noch ein fröhliches Tandem für die Bundestagswahl werden soll.