Und, ach, so viele Herausforderungen!

Die Präambeln der Koalitionsverträge vergangener Jahre zeigen völlig unabhängig von der Zusammensetzung der Regierung vor allem eines: Geschichtlich war die Stunde schon immer – und Berlin ist doch ganz schön dufte

Das ursprünglich frühneuhochdeutsche Wort „Präambel“ erklärt der Brockhaus als „feierliche Erklärung als Einleitung einer Urkunde“. Dem lateinischen Wortstamm nach heißt es nicht mehr als „das Vorangehende“ – und die mehr als 500 Jahre, die das Wort auf dem Buckel hat, merkt man den Präambeln bisheriger Koalitionsvereinbarungen in Berlin durchaus an: Den Mantel der Geschichte wie den Zeitgeist versuchen alle Verträge zumindest verbal zu erhaschen.

Etwas von der Hoffnung auf einen Aufbruch in der Politik schimmert etwa in der Präambel der Koalitionsvereinbarung zwischen SPD und AL vom 13. März 1989, unterschrieben unter anderem von Walter Momper und Christian Ströbele, durch: Der durch die Wahlen mögliche Regierungswechsel von Schwarz-Gelb zu Rot-Grün sei, so heißt es dort, „Auftrag und Herausforderung zugleich, einen neuen Weg in der Politik zu gehen“. Man schimpfte recht unfeierlich auf den „abgewählten Senat“. Der habe „mit einer unsolidarischen und im Kern ausländerfeindlichen Politik“ dem von den „Republikanern“ symbolisierten „Rechtsruck Vorschub geleistet“.

Auch die erste große Koalition zwischen SPD und CDU ab 1991 sah Berlin in der Präambel wieder „vor großen Herausforderungen“ stehen. Die Olympia-Bewerbung für das Jahr 2000 wurde darin anvisiert, ebenso die Fusion mit Brandenburg. „Die Wiedervereinigung unserer Stadt“, so hieß es, sei „erst vollendet, wenn der errungenen Freiheit die soziale Gleichstellung aller Berlinnen und Berliner folgt“ – das dürfte demnach noch ein wenig dauern.

In der Präambel des nächsten Koalitionsvertrags suhlten sich SPD und CDU Anfang 1996, sprachlogisch zweifelhaft, in Selbstlob: „Berlin hat die historische Chance der Einheit ergriffen und nach dem Fall der Mauer eine unvergleichliche Arbeit für das Zusammenwachsen der Stadt geleistet.“ Wieder stand man vor „außergewöhnlichen Herausforderungen“ – etwa dem Zusammenschluss der Länder Berlin und Brandenburg.

Auch in der Präambel des bisher letzten Koalitionsvertrags zwischen CDU und SPD, unterschrieben am 7. Dezember 1999, sah man die Stadt wieder vor „Herausforderungen der Zukunft“: „Die Hauptstadt“, so tönte die Vorrede, „soll Motor der politischen und wirtschaftlichen, der kulturellen und geistigen Entwicklung Deutschlands sein.“ Papier ist eben geduldig.

PHILIPP GESSLER