Die Auserwählten im Feindesland

„Wir können euren Führern nicht folgen. Unsere Treue gilt nur einem, Allah“

aus London REINER WANDLER

Ton und Körperhaltung des bärtigen Schwarzen, der sich in der Eingangstür der Moschee im Südlondoner Stadtteil Brixton aufbaut, lassen keine Zweifel aufkommen: Er meint es ernst. „Mit der Presse reden wir nicht!“, sagt er bestimmt. Dann händigt er eine doppelseitige Fotokopie aus, bevor er mit einem lauten „Raus“ auch den letzten zaghaften Versuch, doch noch mit Imam Abdul Haqq Baker sprechen zu können, zurückweist.

Das Bürgerhaus, das als Gebetsraum und Koranschule dient, rückte kurz vor Jahreswechsel in den Mittelpunkt öffentlichen Interesses, als bekannt wurde, dass hier zwei mutmaßliche Al-Qaida-Kämpfer verkehrten. Richard Reid, der versuchte, ein Flugzeug auf dem Weg von Paris nach Miami mit einer in seinen Turnschuhen versteckten Bombe in die Luft zu sprengen, konvertierte hier zum Islam. Und Zacharias Moussaoui, der bereits vor den Anschlägen auf das World Trade Center und das Pentagon von der US-amerikanischen Polizei verhaftet wurde und jetzt der „Verschwörung mit Ussama Bin Laden und al-Qaida zur Ermordung tausender unschuldiger Menschen in New York, Virgina und Pennsylvania am 11. September“ angeklagt ist, besuchte ebenfalls die Brixton Moschee, als er in London lebte.

„Alles Lob gilt Allah, dem Herren der Welt“, steht über dem Blatt, dass Imam Abdul Haqq Baker verteilen lässt. Von einer orthodoxen Religionsauffassung ist die Rede, bei der Musik ebenso verboten ist wie bildliche Darstellungen, doch mit Gewalt habe man nichts zu tun.

Das sehen die Ermittlungsbehörden ähnlich. Sie suchen die Kontakte Reids und Moussaouis zu Ussama Bin Ladens al-Qaida in einer anderen Moschee, in Finsbury Park im Londoner Norden. Dort predigt Imam Abu Hamzah den heiligen Krieg gegen die Ungläubigen. Seine engere Gefolgschaft stammt aus dem Maghreb. Viele von ihnen sind junge Algerier, meist aus dem Umfeld der Bewaffneten Islamischen Gruppen (GIA), die in ihrer Heimat für blutige Massaker verantwortlich gemacht werden.

Bärtige Jünglinge prägen das Bild in der St. Thomas's Road nach dem Freitagsgebet. Die Stimmung ist erregt. Über eine Stunde hat der Imam von der Überlegenheit des Islams gepredigt. Der Westen habe nur eines im Sinn, „die Muslime zu unterdrücken“. Palästina, Irak und Afghanistan müssen als Beleg herhalten. „Märtyrer“ seien die Terroristen vom 11. September, erklärt einer der Jugendlichen mit lauter Stimme. Die Umstehenden geben ihm recht. Sie fühlen sich als Auserwählte im Feindesland. „Wir können euren Führern nicht treu sein. Unsere Treue gilt nur einem, Allah“, ruft der Jugendliche, der weder Name noch Nationalität nennen mag.

Viele der jungen Menschen, die sich oft illegal in England aufhalten, leben in Abu Hamzahs Moschee. Nach Erkenntnissen der Ermittlungsbehörden sollen hier junge Muslime für Trainingscamps in Afghanistan und für Attentate angeworben worden sein. Egal, wo in Europa ermittelt wird, die Spuren führen immer wieder in Abu Hamzahs Gebetshaus.

Zwei Freunde Moussaouis, die diesen in London besuchten, wurden in den Niederlanden verhaftet, als sie nach Afghanistan reisen wollten. Sie trugen falsche Papiere, Material zur Duplizierung von Kreditkarten sowie Kontaktnummern für die pakistanische Grenzstadt Peschawar bei sich. Richard Reid soll in Abu Hamzahs Moschee mit dem Al-Qaida-Mitglied Djemal Beghal Kontakt aufgenommen haben. Dieser junge Algerier, der jetzt in Haft sitzt, gilt als einer der Operationschefs Bin Ladens in Europa. Auch der Tunesier Nizar Trabelski soll sich mit Beghal in der Finsbury-Park-Moschee getroffen haben. Trabelski, jahrelang Profifußballer in Deutschland, wird vorgeworfen, als Selbstmordterrorist einen Anschlag gegen die US-Botschaft in Paris geplant zu haben. Bei seiner Verhaftung in Belgien fand die Polizei neben einer Maschinenpistole Chemikalien, die zur Herstellung genau des Sprengstoffes dienen, der in Reids Turnschuhbombe gefunden wurde.

Über 2.000 Anhänger sollen drei radikale Londoner Imame, der ägyptischstämmige Abu Hamzah, der Palästinenser Abu Qatadah in der zentral gelegenen Baker Street sowie der Syrer Omar Bakri Mohamed, der in der Stadt eine Reihe von Treffpunkten unterhält, um sich scharen. Darunter mindestens 100 mögliche Selbstmordterroristen, befürchtet die Polizei.

London ist längst zur islamistischen Hauptstadt Europas geworden. Der tolerante Umgang mit politischen Flüchtlingen und illegalen Einwanderern macht Großbritannien attraktiv. Vom Golf bis in den Maghreb – wer in seiner Heimat nicht mehr frei reden konnte, findet von London aus den Zugang zu seiner möglichen Gefolgschaft. Hier werden die zwei größten panarabische Tageszeitung herausgegeben, alle arabischen Satelliten-Fernsehsender unterhalten hier Studios. Alle wichtigen arabischen Organisationen haben in der britschen Hauptstadt ein Büro, bis vor wenigen Jahren auch Bin Ladens al-Qaida. Deren Ableger, das Reform and Advice Committee wurde von dem Saudi Khalid al-Fawwaz geleitet. Er wurde vor wenigen Monaten verhaftet.

Seit der Verschärfung der britischen Antiterrorgesetze empfängt nur noch Omar Bakri die Presse. Abu Hamzah und Abu Qatadah lehnen Interviews ab. Bei Fernsehteams und Fotografen gelten ihre Moscheen als gefährliches Pflaster. Immer wieder werden sie überfallen, Kameras entwendet. Am vergangenen Freitag traf es ein Team des italienischen Fernsehsenders Rai 2, als sie Finsbury Park aufsuchten.

„Ich sage Abu Hamzah immer, wenn du etwas zu verbergen hast, dann zeig es einfach nicht, aber behandele die Medien gut“, meint Omar Bakri lächelnd. Der Mann mittleren Alters stellt sich vor als Mitglied des Islamischen Gerichtshofs im Vereinigten Königreich. Die Institution berät Strenggläubige im islamischen Recht, der Scharia. Bakri, Vorsitzender der Organisation al-Muhajiroun, die einen weltweiten Kalifenstaat anstrebt, gibt sich betont gemäßigt. „Mit Ideen überzeugen“ will er „anstatt mit Gewalt.“ Der Scheich, wie ihn seine Anhänger nennen, fährt jeden Abend die verschiedenen Treffpunkte seiner Bewegung im Großraum London ab. Neben religiösen Vorträgen wird dort „islamische Ökonomie“ unterrichtet. Al-Muhajiroun sieht sich als Schmiede für die Eliten des künftigen Kalifats. „Die Verfechter des Heiligen Krieges beschimpfen uns gerne als Intellektuelle“, sagt Bakri, der seit 15 Jahren in London politisches Asyl genießt.

Berührungsängste mit Abu Hamzah und Abu Qatadah kennt er dennoch keine. Wenn es um Afghanistan oder um Tschetschenien geht, ist auch er bei den Veranstaltungen mit auf dem Podium. Dass solche Aktivitäten dazu dienen, Jugendliche für Söldnerdienste zu werben, stört ihn genauso wenig, wie die Tatsache, dass das gesammelte Geld für Waffen ausgegeben werden könnte. „Wir Muslime sind dazu angehalten, uns militärisch ausbilden zu lassen. In unserer Heimat machen wir den Armeedienst. Hier in England ist dies nicht möglich, deshalb gehen viele nach Afghanistan“, erklärt Bakri ruhig.

„Es gibt überall schlechte Menschen“, versucht Fatma Amar vom Zentralrat der Muslime in Großbritannien die Gefahr des Extremismus herunterzuspielen. Die Doktorin für Islamische Erziehungswissenschaften ist in der Londoner Zentralmoschee, in der sich neben Botschaftern und Geschäftsleuten aus arabischen Ländern der integrierte, liberale Teil der Muslimgemeinde zum Gebet einfindet, für interreligiöse Kontakte zuständig. Knapp drei Millionen Muslime leben im Vereinigten Königreich, eine Million alleine in London. Amar fürchtet, dass die schlechte Presse ihre Arbeit für ein besseres Zusammenleben der Religionen zunichte machen könnte.

„Unsere Jugend hat andere Probleme als sich den Extremisten anzuschließen“, erklärt sie. Dass gerade die schlechte Lage auf dem Arbeitsmarkt und die Marginalisierung vieler Muslime der zweiten und dritten Generation den Extremisten in die Hände arbeitet, davon will sie nichts wissen. Über diese Haltung können andere nur ungläubig den Kopf schütteln. „Der Zentralrat ist völlig realitätsfremd“, kritisierte vor wenigen Tagen ausgerechnet der Imam der Brixton-Moschee, Abdul Haqq Baker.