Blair-Reise ohne direkten Erfolg

Nach der Südasienreise des britischen Premiers bleibt Indien im Konflikt mit Pakistan unnachgiebig. Blair sympathisierte mit Indien, doch seine Forderung nach Abkehr vom Terrorismus und nach neuem Dialog sind auch für Pakistan akzeptabel

aus Delhi BERNARD IMHASLY

Mit einem Mammutprogramm hat der britische Premierminister Tony Blair am Montag den letzten Tag seiner Südasienreise abgeschlossen. Es führte ihn von der Eröffnung eines Wissenschaftskongresses in Delhi zu Gesprächen mit dem pakistanischen Militärmachthaber Pervez Muscharraf nach Islamabad, bevor es mit einem Nachtflug in einer verdunkelten britischen Transportmaschine nach Kabul endete, wo er auf der Luftwaffenbasis von Bagram mit dem afghanischen Interimsregierungschef Hamid Karsai zusammentraf. Die geografische Nähe dieser Stationen konnten nicht über die politischen Gräben hinwegtäuschen, die der jüngste Konflikt zwischen Indien und Pakistan aufgerissen hat.

Der Wissenschaftskongress war der äußere Anlass des Indienbesuchs gewesen, und der Abstecher nach Kabul galt in erster Linie einem Frontbesuch bei den britischen Spezialeinheiten. Doch Blairs Hauptakzent lag zweifellos im Versuch, die frisch aufgeflammten Spannungen zwischen den beiden großen subkontinentalen Nachbarn zu dämpfen. Er sei nicht in der Lage, den Streit zwischen Indien und Pakistan zu schlichten, sagte Blair in Islamabad. Doch er machte seinen Gesprächspartnern bei allen Anlässen klar, wie groß das Interesse der Weltöffentlichkeit ist, den Konflikt zwischen den beiden Atomwaffenstaaten nicht in einen offenen Krieg eskalieren zu lassen. Er unterstrich dies mit dem Hinweis, dass er auf seiner Reise mehrmals mit US-Präsident George W. Bush telefoniert habe.

Ohne die Beschränkungen einer offiziellen Mittlerrolle konnte sich Blair auch erlauben, keine strikte Neutralität zu wahren. Dies war jedenfalls der Eindruck vieler Beobachter, die aus seinen Äußerungen ein vorsichtiges und dennoch deutliches Verständnis für Indiens Haltung heraushörten. Doch Blairs Formel für die Lösung des Konflikts – ein klares Bekenntnis gegen den Terrorismus und die Wiederaufnahme des Dialogs – ist auch für Pakistan akzeptabel. Doch während er in Islamabad beide Faktoren nebeneinander stellte, schob er in Delhi das Wort „dann“ ein, womit er sich hinter Indien stellte: zuerst Maßnahmen gegen den Terrorismus, „dann“ die Wiederaufnahme des Dialogs.

Es verwundert daher nicht, dass Indien seine unbeugsame Haltung beibehält. Am Sonntag hatte Premierminster Atal Behari Vajpayee bei seinem Medienauftritt mit Blair noch grundsätzliche Dialogbereitschaft signalisiert. Doch kaum war Blair am Montag abgereist, trat Außenminister Jaswant Singh vor die Öffentlichkeit und warf Pakistan erneut vor, in der Frage des Terrorismus zweierlei Maß anzuwenden: eines an seiner afghanischen Westgrenze, ein anderes gegenüber seinem östlichen Nachbarn Indien. Singh fragte: „Was soll die Frage nach einem Dialog, wenn es keine Änderung der Einstellung gibt?“ Die Zeitung Indian Express argwöhnt, dass sich Delhi angesichts der bisherigen Maßnahmen Muscharrafs gegen die islamistische Gruppen in Pakistan ermutigt fühlt, mit harten Forderungen weitere Konzessionen zu erzwingen. Am letzten Wochenende hatte er in der Provinz Punjab weitere Razzien durchführen lassen, was die Zahl der Verhafteten auf über 330 steigen ließ.

Nach seinem Gespräch mit Blair bekannte Muscharraf erstmals in aller Klarheit, dass Pakistan Terrorismus „in all seinen Formen“ zurückweise. Für die nächsten Tage kündigte er zudem eine programmatische Rede an, in der er weitere Maßnahmen versprach, „um jegliche Form von Militanz unter Kontrolle zu bringen“.

Die USA und Großbritannien machen sich offensichtlich Sorgen, dass Indien den Bogen überspannen könnte, umso mehr, als die täglichen Artillerieduelle an der Waffenstillstandslinie auf beiden Seiten zivile und militärische Opfer fordern. Bei aller insgeheimen Kritik an Pakistan sprach Tony Blair Muscharraf seine Anerkennung für den Mut zum Beitritt in die „Anti-Terror-Allianz“ aus. Und der pakistanische Machthaber erhielt am Montag einen Anruf von Bush, in dem ihn dieser für das entschiedene Vorgehen gegen militante Kaschmir-Gruppen lobte. Die Allianz ist sich bewusst, dass eine internationale Isolierung Pakistans den Präsidenten in seinem eigenen Land entscheidend schwächen könnte. Bei der Abkehr von den afghanischen Taliban konnte Muscharraf auf eine breite Unterstützung im Volk zählen, um seine Gegner unter den radikalen Parteien und in den Streitkräften zu neutralisieren. Im Fall eines ebenso scharfen Vorgehens gegen kaschmirische Rebellengruppen kann er nicht mit derselben breiten Sympathie rechnen.

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