„So dumm, dass man stirbt“

Wenn sich westliche Konzerne in China einen neuen Markennamen suchen, kann allerhand schief gehen.Deutsche Automarken galoppieren inzwischen blumig als „Pferde“ übers Land, und der Viagra-Hersteller Pfizer kam zu spät

Aus Peking ASTRID MAIER

Ein Mercedes-Benz ist ein hoch geschätztes Auto. Aber ohne Stern am Kühler und ohne seinen weltweit bekannten Markennamen wäre er vielleicht die Hälfte wert. In der Theorie nennt sich das brand equity, also Markenkapital. Brand-equity-Theoretiker schätzen den Wert von einzelnen großen Markennamen auf mehrere Milliarden Dollar. Diesen Vorsprung vor No-Name-Produkten in die Praxis umzusetzen bereitet westlichen Konzernen in einem Land ganz besondere Schwierigkeiten: „In China kann sich eigentlich niemand einen fremdländischen Namen merken“, sagt Johann Björkstén, Chef der Marketingagentur Aboda in Peking. Wie bringt man aber 1,3 Milliarden Chinesen dazu, es trotzdem zu tun? Am besten gar nicht.

„Fräulein Li, fällt Ihnen nicht ein netter chinesischer Name für unsere Firma ein?“, hat schon mancher westliche Manager seine chinesische Sekretärin gefragt. Behauptet zumindest Björkstén. Und Björkstén muss es wissen. Denn seine Firma lebt davon, passende chinesische Namen für ausländische Firmen zu erfinden.

„Die meisten wollen, dass ihr Name auf Chinesisch so ähnlich wie der Originalname klingt“, erklärt Björkstén, nebenbei auch schwedischer Handelsattaché in Peking. Die phonetische Angleichung um jeden Preis sei jedoch die denkbar schlechteste Methode. Meistens kämen dabei ziemlich werbeunwirksame Namen zustande wie etwa Maidanlao, Chinesisch für McDonald’s. Oder Motoluola, man ahnt es schon, für Motorola. Diese Namen bedeuten aber gar nichts. Namen müssen jedoch auf Chinesisch etwas bedeuten. Traditionell war die Wahl eines Firmennamens gar eine Angelegenheit für den Feng-Shui-Meister.

Bei dem wachsenden Konkurrenzdruck und dem nationalen Selbstbewusstsein der markengeilen Neureichen in China ist man mit einem nichtssagenden Namen heute schnell aus dem Geschäft. Vorbei die Goldgräberstimmung der Achtzigerjahre, als ein Name allein schon deshalb zog, weil er ausländisch klang. Beste Voraussetzungen auf dem chinesischen Markt haben Markennamen, die auch in ihrer Originalsprache etwas bedeuten und sich direkt übersetzen lassen. Volkswagen hat es vorgemacht. Dazhong Qiche (= Volkswagen) ist heute Marktführer auf dem chinesischen Pkw-Markt. Die hohe Kunst besteht aber darin, einen Namen zu finden, der gleich zwei Bedingungen erfüllt: sowohl die klangliche Ähnlichkeit mit dem Original als auch die Aufrechterhaltung des angestammten Markenimages. So kommt es, dass James Bond in China die Automarke Kostbares Pferd fährt. Wo sich nämlich deutsche Ohren an Bayerische Motoren Werke (BMW) erfreuen, bedarf es für den chinesischen Kunden schon eines blumigen Baoma (= kostbares Pferd). Oubao (= Schatz aus Europa) ist der ähnlich prätentiöse Name von Opel.

Bei aller Sorgfalt lauert ständig die Gefahr, doch noch in ein kulturelles oder sprachliches Fettnäpfchen zu treten. Die vielen verschiedenen Dialekte in China machen die Sache nicht leichter. Benchi (= galoppierendes Pferd), Benz auf gut Deutsch, ist anfangs in der südchinesischen Provinz Kanton gar nicht gut angekommen. Diese Schriftzeichen werden auf Kantonesisch nämlich so ausgesprochen, dass man anstatt „galoppierendes Pferd“ den Satz „So dumm, dass man stirbt“ versteht.

Namensfinder Björkstén hat in Peking kaum professionelle Konkurrenz. Die deutsche Außenhandelskammer vor Ort etwa verweist auf den Dienst von chinesischen Freunden bei der Übertragung eines Markennamens. „Es ist noch viel drin“, sagt der Markenprofi. Denn eigentlich sind die chinesischen Schriftzeichen geradezu ideal für die „emotionale Markenbindung“, den Wunschtraum der Marketingbranche. Im Gegensatz zu Buchstaben haben sie eine viel stärkere Suggestivkraft. Viele Zeichen sind Piktogramme oder sie enthalten eindeutige Bedeutungselemente, die auf die Beschaffenheit eines Produktes hinweisen können.Vor allem die Erschaffung neuer, einprägsamer Kunstzeichen hat Zukunft.

Bis die Volksrepublik jedoch von Marktpsychologen durchdrungen sein wird, dürfte noch einige Zeit vergehen. Abwarten ist jedoch das Falscheste für die Global Player. Hierzu erzählt der Schwede Björkstén gerne eine anschauliche Anekdote: Xiaodi (= kleiner Bruder) heisst das beste Stück des Mannes salopp auf Chinesisch. Weige (= großer Bruder) wurde Viagra von den chinesischen Medien getauft, noch bevor der Muntermacher für den kleinen Bruder in China überhaupt auf den Markt kam. Als der US-Pharmakonzern Pfizer später Viagra unter Weige registrieren lassen wollte, hatte sich die chinesische Konkurrenz den Namen längst gesichert. Wanaike (= der Gast, der 10.000 Mal Liebe macht), wie Viagra jetzt offiziell heißt, klingt hingegen für chinesische Ohren irgendwie nach Scharlatanerie.