Zähes Ringen um jeden Satz

Nach langem Hin und Her einigten sich SPD und PDS auf das umfassendste Geschichtsbekenntnis, das es in einer Koalitionsvereinbarung je gab. Auch Nationalsozialismus, Nato oder UNO finden darin ihren Platz

Elftausend Stellen weniger im öffentlichen Dienst, keine olympischen Spiele, dafür der Bau eines Großflughafens – auf das Regierungsprogramm für die Zukunft einigte sich das rot-rote Bündnis in der Hauptstadt ohne viel Federlesens. Sieht man vom üblichen Gerangel um die Posten einmal ab, wurde nur über eines wirklich gestritten: über die Haltung zur Vergangenheit. Acht Stunden brauchten die künftigen Partner in der letzten Verhandlungsrunde, bis sie sich auf eine Präambel für den Koalitionsvertrag geeinigt hatten.

Der Entwurf für das Papier, das alte Kader und junge DDR-Nostalgiker in der PDS mit Argusaugen lesen werden, stammt vom jungen Westberliner Sozialdemokraten Andreas Matthae. Der 33-jährige SPD-Landesvize, Betreiber einer Tapasbar in Kreuzberg, zählt zur Parteilinken und will im Herbst in den Bundestag einziehen. Er suchte sich zwei sehr unterschiedliche Berater. Der 32-jährige Pragmatiker Sven Vollrath verfügt als Ostberliner und Referent von Bundestagspräsident Wolfgang Thierse über einige Erfahrung in Sachen SED-Aufarbeitung. Der 41-jährige Michael Donnermeyer, Pressesprecher der Bundespartei, gilt als Vertrauter von Franz Müntefering und wird als Sprecher des künftigen rot-roten Senates gehandelt.

Ein sozialdemokratischer Entwurf also – aber einer, mit dem die PDS besser leben konnte als die SPD-Spitze. Der Begriff „Entschuldigung“ tauchte nicht auf. Statt explizit die „Vergewaltigung und Verfolgung von Sozialdemokraten“ zu benennen, war von „Menschenrechtsverletzungen“ die Rede.

So glatt wie es das dreiköpfige Redaktionsteam wollte, zog sich Rot-Rot dann doch nicht aus der historischen Verantwortung. Zwischen Jamaika und Neuruppin funkten Bürgermeister Klaus Wowereit und SPD-Landeschef Peter Strieder während des Weihnachtsurlaubs hin und her. Nicht nur die SED-Opfer kehrten in den Text zurück, auch ein Bekenntnis zur Nato, wie es die Bundesregierung gewünscht hatte.

Noch harrte der Text freilich der wichtigsten Überarbeitung. Gregor Gysi, von der historischen Bedeutung des rot-roten Senats überzeugt, beriet im neuen Jahr gemeinsam mit seinem Vertrauten aus der Berliner Kommunalpolitik. Dieses Team fuhr eine Doppelstrategie: Endlich sollen die Nostalgiker in den eigenen Reihen unhaltbare Positionen räumen, gleichzeitig soll die „westliche Deutungshoheit“ über die Geschichte gebrochen werden. Auch deshalb ist die Präambel so ausführlich historisierend geraten. Der Begriff „Zwangsvereinigung“ etwa, vor einem halben Jahr noch verschämt umschrieben, wird nun verwendet, aber in drei langen Sätzen historisch eingeordnet.

Die wichtigste Gysi-Änderung: Ein eigener Absatz der Präambel nimmt auf den Nationalsozialismus bezug. Die deutsche Geschichte, so lautet die PDS-Parole, beginnt nicht 1946. Im historischen Kontext möge die DDR in milderem Licht erscheinen. Am Montag wurden sogar Zeilen gezählt. Keinesfalls deutlich länger als der Faschismusabsatz durfte die Passage zur DDR geraten. Einige Streitpunkte wurden mit Hilfe der Grammatik geschlichtet. Die Nato war für die SPD zwar nicht verhandelbar. Aber, so ein PDS-Unterhändler: „Wir konnten sie in eine Aufzählung abdrängen, hinter westliche Wertegemeinschaft und UNO.“ ROBIN ALEXANDER