sinnsuche im sinai
:

von BJÖRN BLASCHKE

Sanddünen. Bizarre Felsformationen. Wüstenpisten. Strahlender Sonnenschein. Sternenklare Nächte. Das Rote Meer und seine Korallenriffs. Der Sinai! Bei vielen Menschen gilt die ägyptische Halbinsel als ein großartiger Flecken Erde, auf dem man der zivilisierten Welt den Rücken zuwenden kann, ohne sie gleich verlassen zu müssen. Für diese Menschen ist der Sinai ein gigantischer Sandkasten, in dem man als Temporärgulliver prima spielen kann.

Der gemeine Tuist flattert in Scharm al-Scheich ein, um sich das ein- bis dreiwöchige Vollprogramm zu geben: Strand, Strand, Strand und zwei Ausflüge. Der eine zum zutraulichen Delfin in der XY-Bucht mit integrierter Erinnerungsmaschine: „Hallo. If you want to snorkel with the dolphin, I make picture – only 100 Marks, good price and you will remember me, Mohammad, as your friend!“ Der andere Ausflug führt in Begleitung eines freundlichen Beduinen in die Wüste hinein. Am Ende der „Desert-Safari with sunset in the mountains“ geht’s zu Herrn Bedu nach Hause vors Zelt, wo Frau Bedu ein typisches Nomadenbarbecue kredenzt. Die Wüste lebt, die Authentizität klebt.

Urlauber, die sich diesem Programm unterwerfen, werden gern gehänselt und gegretelt. Am liebsten von super individualistischen Motorradfahrern, die ungefragt erklären, dass sie mit ihren „Maschinen“ keine Touristen seien, sondern „Reisende“. Am liebsten übertragen sie ihren „Trip“ mit der Videokamera direkt ins Internet: „Meine Homepage ist in den nächsten Monaten meine einzige Adresse.“ Öder als diese Öpels sind nur noch die Rucksackschlepper, die ihre Spaghetti mit Ketchup kochen, weil’s so schön billig ist.

Zu den freundlichen Sinai-Reisenden gehören dagegen die Heilfastenwanderer. Sie fallen nämlich kaum auf. In ihren groben Leinennachthemden sind sie schon nach drei Sonnentagen jesusartig verdörrt. Vom vierten Tag an verschmelzen sie auf ihrer Heilfastenwanderung mit Wüste und Stechpalme, sodass man sie gar nicht mehr sieht. Zu hören sind die Jünger des Schrumpfmagens ebenfalls kaum. Wenn sie überhaupt essen, dann jedenfalls keine Spaghetti mit Ketchup. Sie treiben sich zumeist in der Nähe des Klosters St. Katherinen herum, in der Hoffnung, dass sie auf einen brennenden Dornbusch stoßen, aus dem eine Stimme zu ihnen spricht. Bisher war dies sehr wenigen Menschen vergönnt. Ein Jude aus Kairo will einmal laut und deutlich ein kräftiges Brummeln vernommen haben.

Zuletzt wusste allerdings ein Kölner, der an einer Heilfastenwanderung im Sinai teilgenommen hatte, Folgendes zu berichten: Ihm sei mitten in der Wüste plötzlich ein etwa zweijähriges Mädchen erschienen. Die Haare des Kindes seien illuminiert gewesen, der Leib gewandet in ein sonniges Hemdlein. Jedenfalls habe auf dem gelben T-Shirt in großen Lettern eine Aufschrift geprangt: „Geburtshaus Berlin-Charlottenburg“. Auf die Frage, ob es katholisch oder evangelisch sei, griechisch- oder russisch-orthodox, neuapostolisch, muslimisch oder buddhistisch, habe das Mädchen irritiert geantwortet: „Nein, ich bin normal.“