Taliban nach Seevetal

Bundesregierung will kriegsgefangene Afghanen in Nordniedersachsen internieren. US-Regierung zeigt Interesse für Angebot. Geteiltes Echo in betroffener Gemeinde

SEEVETAL taz ■ Die rund 200 kriegsgefangenen Taliban-Kämpfer, die nach einem entsprechenden Angebot von Bundeskanzler Gerhard Schröder an die US-Regierung in Deutschland interniert werden, sollen auf dem Gelände eines ehemaligen NATO-Depots nahe Ramelsloh in der Nordheidegemeinde Seevetal, Kreis Harburg, inhaftiert werden. Das hat gestern die SPD-Abgeordnete Monika Griefahn gefordert, zu deren Wahlkreis Seevetal gehört. Der Ausbau des Geländes zu einem Kriegsgefangenenlager brächte der heimischen Wirtschaft ein Auftragsvolumen in mehrstelliger Millionenhöhe und mittelfristig rund 50 neue Arbeitsplätze.

In ersten Stellungnahmen zeigten sich Politiker und Wirtschaftsvertreter des Kreises Harburg begeistert von der Initative. Landrat Norbert Böhlke (CDU) erhofft sich von dem Kriegsgefangenenlager nicht nur den vordergründigen wirtschaftlichen Vorteil für den Standort. „Unsere Bereitschaft, in dieser Form Verantwortung in Kriegszeiten zu übernehmen, wird sicher das allgemeine Renommee des Kreises steigern.“ Das wiederum könne sich langfristig auf die wirtschaftliche Entwicklung der gesamten Region auswirken. Seevetals Bügermeister Rainer Timmermann (CDU) sieht in dem Talibangefängnis vor allem eine große Chance für den heimischen Fremdenverkehr. Er schlug vor, rund um das Lager Aussichtsplattformen aufzustellen, von denen aus man die gefangenen Taliban-Kämpfer beobachten könne: „So was lockt Touristen aus aller Welt an.“ Der Regionalverband des niedersächsischen Landvolks regte unterdessen an, die kriegsgefangenen Taliban bei Bedarf als Helfer in der heimischen Landwirtschaft einzusetzen. „Bei der Spargel- oder Kartoffelernte können unsere Bauern jede Hand gebrauchen,“ sagte ein Sprecher.

Spontaner Protest gegen das Lager wurde von einigen Anwohnern des Nato-Geländes geäußert. Sie befürchten Lärmbelästigungen durch die religiöse Praxis der einsitzenden islamistischen Taliban-Brüder. „Wenn da alle zwei Stunden deren Mullah zum Gebet ruft, ist es mit unserer Ruhe hier vorbei,“ sagte Anwohner Alfons Johanning. Er kündigte Widerstand gegen das Projekt an. Auch Thomas Fick, Vorsitzender der Unabhängigen Seevetaler Wählerfront (USW) sieht die Sache „mit gemischten Gefühlen“. Er erinnerte an die blutige Gefangenenrevolte in Masar-i Scharif. „Die Taliban bleiben auch in der Haft gefährlich“, gab der Kommunalpolitiker zu bedenken. Grundsätzlich wird er dem Gefangenenlager aber zustimmen. Allerdings müssten dann für das Biotop, das sich auf dem Gelände des still gelegten Nato-Depot mittlerweile gebildet habe, entsprechende Ausgleichsflächen zur Verfügung gestellt werden.

Das Bundeskanzleramt bestätigte unterdessen „ein ernsthaftes Interesse der US-Regierung an einer Internierung einiger hundert kriegsgefangener Talibankämpfer in Deutschland“. Der Standort Seevetal in der Nordheide scheine für ein Gefangenenlager „sehr geeignet“. Eine Expertengruppe der Bundeswehr wird das Gelände am kommenden Montag auf seine Tauglichkeit prüfen. Nach dem derzeitigen Stand der Planung könnten die ersten 20 gefangenen Taliban bereits nächste Woche nach Deutschland verbracht werden. Sie würden zunächst in einer umgebauten und speziell gesicherten Schulturnhalle im Bielefelder Ortsteil Schildesche interniert. FRITZ TIETZ