Die Botschaft heißt Moral

Michael Jordan kommt selbst immer besser in Schwung und hat zudem die einst desolaten Washington Wizards in ein ansehnliches Basketballteam mit Play-off-Chance verwandelt

von MATTI LIESKE

Über die bevorstehende Scheidung von seiner Frau Juanita, die ihn gut und gerne die Hälfte seines nicht ganz unbeträchtlichen Vermögens kosten könnte, mochte Michael Jordan nicht reden. „Geht euch nichts an“, raunzte er, „wenn die Zeit kommt, werdet ihr schon davon hören.“ Viel lieber ließ er sich über sein Basketballteam aus, die Washington Wizards, die gerade mit 96 : 88 gegen die Los Angeles Clippers gewonnen hatten. „Bis jetzt“, so der 38-Jährige, „haben wir bewiesen, dass wir mich überraschen können.“ Was kunstvoll die Doppelexistenz beschreibt, die Jordan in seinem Klub führt. Auf der einen Seite Bestandteil einer Mannschaft, auf der anderen Seite der große Boss, der über allem thront.

Etwas mehr als ein Drittel der NBA-Saison ist absolviert, und abseits von seinen privaten Problemen kann Michael Jordan absolut zufrieden sein. 18 von 32 Spielen haben die Wizards gewonnen, nur ein Sieg fehlt ihnen, um jetzt schon die Marke der gesamten letzten Saison zu erreichen. Als derzeit fünftbestes Team der Eastern Conference sind sie auf gutem Weg in die Play-offs, ihr Publikum haben sie zuletzt mit sieben Heimsiegen in Folge beglückt. All das kann man ohne Umschweife einem Mann zuschreiben: Michael Jordan.

Als Washington letztes Jahr den Clippers unterlag, bekam der damalige Präsident in der Ehrenloge einen veritablen Wutanfall. „Was mir bei diesem Spiel gar nicht gefiel, war die Einstellung“, erinnerte sich Jordan, „die Einstellung, möglichst nicht zu verlieren, anstatt hinauszugehen und das Match zu gewinnen.“ Genau diese Moral hat er der Mannschaft inzwischen eingeimpft, was sich daran zeigt, dass noch keine Partie verloren ging, in der die Wizards zu Beginn des letzten Viertels führten.

Dabei waren die Dinge zu Beginn ziemlich schief gelaufen. Jordan kämpfte mit seinem Wurf, während die Mitspieler oft wie erstarrt herumstanden und darauf warteten, was er wohl als Nächstes anstellen würde. Inzwischen ist es wie einst bei den Chicago Bulls, mit denen Jordan sechs Titel gewann: Wenn es nötig ist, dreht er auf, wenn nicht, springen die Mitspieler in die Bresche und tun das Nötige zum Erfolg. Leute wie Popeye Jones, Brendan Haywood, Tyronn Lue, Jahidi White, Chris Whitney oder Hubert Davis tragen derart emsig ihr Scherflein bei, dass sogar der Ausfall der wichtigen Stammkräfte Richard Hamilton und Christian Laetttner die Siegesserie kaum stoppen konnte.

„Mir gefällt das Selbstvertrauen, das unser Team hat“, freut sich Jordan, der mit 18 Punkten 10 Rebounds und 8 Assists gegen die Clippers knapp ein Triple Double verpasste. Die eher bescheidene Punktausbeute, nachdem er zuletzt noch 51 Zähler gegen Charlotte und 47 gegen New Jersey geholt hatte, schadete den Wizards jedoch nicht. „Michael hat uns nicht geschlagen“, meinte Clippers-Coach Alvin Gentry, „es war keine dieser Nächte, wo er 50 macht. Aber ich denke, Popeye Jones war genauso wichtig.“ Der holte 16 Punkte sowie 8 Rebounds und bewies, dass sich derzeit bei Washington eigentlich immer jemand findet, der die entscheidenden Dinge tut.

Wie sehr es Michael Jordan genießt, wieder auf dem Platz und im Rampenlicht zu stehen, war selbst während der Misserfolgsserie zu Saisonbeginn zu sehen, als er immer wieder mit breitem Grinsen über den Platz schritt oder genüsslichen „Trash Talk“ mit alten und neuen Kontrahenten pflegte. Nun, da er bewiesen hat, dass er nicht nur selbst noch exzellent Basketball spielen kann, sondern nach wie vor in der Lage ist, ein Team besser zu machen, als es die Summe seiner Einzelteile sind, ist er vollends obenauf. Zumal ihm seine entzündeten Knie derzeit weniger Schmerzen bereiten und individuelle Highlights wie sein 30.000ster Punkt, ein spielentscheidender Superblock gegen Chicagos Ray Mercer oder die Punkteflut gegen Charlotte für zusätzliches Vergnügen sorgen.

Zwei Ereignisse sind es vor allem, denen Michael Jordan mit besonderer Vorfreude entgegensieht: der Auftritt bei seinen alten Bulls am 19. Januar und das All-Star-Game am 10. Februar in Philadelphia, für das er den Platz als Starter so gut wie sicher hat. Allerdings liegt er bei der Fanwahl derzeit nur auf Rang vier hinter Vince Carter, Shaq und Kobe Bryant. Eine Majestätsbeleidigung, deren Korrektur er sich höchstwahrscheinlich schon fest für die nächste Saison vorgenommen hat.