pampuchs tagebuch
: Die Kraft der Ruhe

Nach dem Katastrophenjahr 2001 freuen wir uns auf ein ausgeglichenes 2002. Von mehreren Seiten wurde mir dazu – gewissermaßen wissenschaftlich abgesichert – prophezeit, schon die Anordnung der Zahlen stünde für Ausgewogenheit, Ruhe, Ordnung, Symmetrie. Das aber heißt: mit Umsicht planen, entscheiden und sich das Richtige vornehmen.

Auf dem Computersektor habe ich mich deshalb entschlossen, mit meinem alten Laptop weiterzumachen. Ein neuer kommt mir erst 2003 ins Haus. Gerade die Verwerfungen des vergangenen Jahres haben mich gelehrt, dass in der Ruhe die Kraft liegt – so ungefähr hat das auch mein Bankbeamter und Anlageberater formuliert. Das Falscheste, was man tun kann, bei all den dot.com-Pleiten und Aktienstürzen, bei Terror und Krieg, in Rezession und Krise und überhaupt wäre, in Unrast zu verfallen und aufs Geratewohl Neues an- und Altes abzuschaffen. Nix da. Das alte Kistchen tut's bei guter Pflege bestimmt noch ein Jahr. Wenn wir was gelernt haben 2001, dann doch wohl, wie seifenblasig die Computerwelt beschaffen ist. Und wie schnell Seifenblasen platzen können.

Ruhe und Beständigkeit also. Ach, wenn sich doch der Markt nur auch daran hielte! Doch ich muss nur meine Lieblingsärger-Seite aufschlagen (um die ich weiterhin nicht herumkomme), und schon ist es vorbei mit der Ruhe, der Ordnung, dem Frieden: „Attacke: Computerviren greifen an!“, kreischt es mir da entgegen, kaum dass ich nur meine Mail checken will. Um dann weiter zu stabreimeln: „Abwehr: Effektiver Virenschutz online bei AOL“ und: „Abhilfe: Virenscanner als Download“. Wer geriete da nicht in Versuchung, die Ruhe zu verlieren? Wer wollte sich da nicht gleich ins Kampfgetümmel stürzen gegen „Viren, Würmer“ und andere Unholde? – so nennen die AOL-Heinis das wirklich.

Aber soll ich meinem alternden Laptop vielleicht die Arznei vorenthalten? Wo ich mich doch gerade entschlossen habe, ihm einen ehrenvollen Abgang zu gewähren? Schon sitze ich in der Modernisierungsfalle – selbst ohne neuen Laptop. Und lade mir irgendein Programm runter, das ich nicht brauche, das vermutlich völlig überflüssig, wenn nicht sogar schädlich ist, und das nur Zeit und Speicherplatz kostet. Dabei weiß ich genau, was mein Problem ist: Trotz guter Ratschläge vieler Wohlmeinender – unter anderem einer Reihe treuer Leser –, die mir seit Jahren raten, endlich einen vernünftigen, normalen Provider zu suchen, beginnt bei mir jede Sitzung immer noch auf der AOL-Startseite. Das aber heißt: jeden Tag eine Überraschung. Gestern die „10 besten Gratis-Downloads“ – soll man abseits stehen, wenn es das „Gratis-Screenshot-Programm“ gibt? Heute die Killerviren-Virenkiller. Und morgen Pornos, Talks oder sonst ein Schrott. The Show must go on. Leben mit der Wundertüte.

Doch was soll ich sagen? Man gewöhnt sich. Die AOL-Politik wirkt. Irgendwann gehört man zur Familie. Seine Aggressionen aber pflegt man am besten in der Familie. Bis man nicht mehr ohne sie leben kann. Ja, ich gestehe: AOL hat es geschafft. Sie haben mich kleingekriegt. Ich bleibe bei dem Verein, auch im neuen Jahr. Und das, obwohl es ein unnützer, überfrachteter Saftladen ist. Oder gerade weil er das ist. Das wird sich nämlich auch 2002 bestimmt nicht ändern. Genau das, was ich suche im neuen Jahr. Beständigkeit. THOMAS PAMPUCH

ThoPampuch@aol.com