„Wir hatten nie eine Europapolitik“

Der Abschied von Italiens Außenminister Ruggiero hatte mehr innen- als außenpolitische Gründe, meint der Publizist Lucio Caracciolo

taz: Außenminister Ruggiero ist gegangen – doch Berlusconi behauptet, Italiens Europapolitik werde sich nicht verändern. Ein Rücktritt ohne Grund also?

Lucio Caracciolo: Ich glaube nicht, dass Berlusconi und Ruggiero einen echten politischen Dissens hatten, denn in Italien findet gar keine wirkliche Diskussion über Europa statt. Sie hat nie stattgefunden, denn bei uns steht Europa gar nicht zur Diskussion. Über Maastricht zum Beispiel haben wir erst nach der Ratifizierung überhaupt zu reden angefangen. Auch jetzt war das Problem nicht Europa, sondern es ging allein um innenpolitische Machtfragen. Die aber haben wiederum enorme Konsequenzen für Rolle und Rang Italiens in Europa. Aber der Ausgangspunkt sind Machtkämpfe in der Koalition und zwischen den Machtzentren – auch ökonomischen Machtzentren – in Italien. Ruggiero wurde auf Anraten des Fiatchefs Gianni Agnellis Außenminister. Jetzt ist es offenbar zum Bruch zwischen Berlusconi und Agnelli gekommen.

Aber im Kabinett gibt es doch europafeindliche Minister.

Selbstverständlich hat Italien eine Sonderrolle, die in der durch die Korruptionsskandale Anfang der 90er-Jahre ausgelösten Krise der Politik wurzelt. In einem normalen Land wäre ein Berlusconi gar nicht Ministerpräsident, sondern immer noch bloß Unternehmer. Italiens politische Strukturen sind innenpolitisch geschwächt, mit der Folge, dass auch unsere Fähigkeit, auf europäischer und internationaler Bühne Einfluss auszuüben, drastisch reduziert ist. Italien war noch nie so schwach wie heute.

Berlusconis starke Worte – nur ein Mittel, um Schwäche zu kaschieren?

Da müssen wir unterscheiden. Innenpolitisch ist er stark – auch heute würde er wieder die Wahlen gewinnen. International dagegen steht Italien miserabel da.

Lässt sich wenigstens in Ansätzen eine europapolitische Linie der Regierung Berlusconi umreißen?

Nein. Aber ehrlicherweise ist hinzuzufügen, dass dieses Problem Italiens schon vor Berlusconi existierte. Spätestens als klar war, dass Italien die Kriterien für den Euro erfüllt, ist das Land in sein altes Politiktheater zurückgefallen. Und der europäische Horizont ist vollkommen verschwunden, wenn wir mal vom rein tagespolitischen Agieren absehen. Mit Berlusconi verschärft sich die Situation allerdings. Denn entweder wird er in Europa nicht ernst genommen, oder aber – wenn man ihn denn ernst nimmt – als Gefahr gesehen. Seinen Kollegen, die ja alle Berufspolitiker sind, gilt er als Außenseiter oder aber als gefährlicher Dilettant. Aber ich kann nur unterstreichen: Auch vorher glänzte Italien durch das Fehlen einer eigenen europäischen Politik. Das machte das Land zum idealen Partner, denn wir sagten immer Ja, oder wir stellten gleich ganz unmögliche Forderungen, die leicht abzulehnen waren. Wir können da von einer typisch italienischen Haltung sprechen: Verbal wird Europa in den Rang einer Religion erhoben, doch man tut nichts, was Europa vorantreibt.

Italien ist aber in den letzten Monaten mehrfach vor allem als Neinsager aufgefallen – Militär-Airbus, Europäischer Haftbefehl, Europäische Agentur für Nahrungsmittelsicherheit.

Das ist der spiegelbildlich entgegengesetzte Fehler. Statt a priori immer Ja zu sagen, wurde da a priori Nein gesagt.

INTERVIEW: MICHAEL BRAUN