Detailblick auf ferne Fjorde

Kunsthalle plant für 2002 markante Landschafts-, Picasso- und Klauke-Ausstellungen  ■ Von Petra Schellen

Noch klaffen Lücken, aber die Tendenz scheint klar: „Bestandssichernd“ sei, was sie bisher herausgefunden habe, sagt Ute Haug, seit Oktober 2000 Provenienzforscherin in der Hamburger Kunsthalle – einem der bundesweit fünf Museen, die prüfen, ob unter ihren Beständen von Nazis geraubtes ehemals jüdisches Eigentum ist. Allerdings hat sie erst einen Bruchteil der 760 zu bearbeitenden Werke untersucht, „und in etlichen Fällen habe ich noch keine Rückmeldung von Galerien oder anderen Institutionen, die ich im Rahmen meiner Recherchen angeschrieben habe.“ Und sicher werde es auch Werke geben, deren Herkunft sich nicht ergründen lasse. Diese will sie auf einer Internet-Seite für weltweite Anfragen zur Disposition stellen.

Bei interner Forschung will man es in der Kunsthalle allerdings nicht belassen: „Ein Forum“, d. h. gelinder öffentlicher Druck soll auch durch eine Provenienzforschungs-Konferenz mit dem Titel die eigene Geschichte im Februar erzeugt werden, die Juristen, Kunsthistoriker, Galeristen und Museumsleiter an einen Tisch bringen soll. Der Vergleich mit Provenienzforschung in den USA und Österreich soll dabei neben einer Bilanz bisheriger deutscher Aktivitäten stehen und „hoffentlich viele Leiter anderer Häuser zum Nachdenken bringen“, sagt Ute Haug.

Doch vorläufig braucht die Kunsthalle nicht in Verhandlungen mit etwaigen Erben einzutreten. Und so kann der jüngst bis zum 31. Januar 2006 in seinem Amt bestätigte Direktor Uwe M. Schneede entspannt auf ein besucherreiches Jahr 2001 (392.655 Personen – 7,5 Prozent mehr als 2000) zurückblicken, in dem auch der Verein der Freunde der Kunsthalle einen Mitgliederrekord von 11.500 Personen (1991: 2700) erreichte.

Und wenn man dann genügend über Bestandssicherung und Zahlen geredet hat, kann man sich, wie beim gestrigen offiziellen Rück- und Ausblick, endlich den Ausstellungen dieses Jahres widmen: Einer Klammer gleich wird das diesjährige Ausstellungsgeschehen vom Thema Landschaft umrahmt: Jacob von Ruisdaels Revolution der Landschaft wird den Anfang, eine Schau über die Beziehungen zwischen Wissenschaft und Landschaftsmalerei um 1800 den Ausklang des Jahres bilden.

Das Frühwerk des Niederländers Jacob von Ruisdael (1628–1682) wird im Zentrum einer Mitte Januar beginnenden Schau stehen, die das Augenmerk auf jene Direktheit richtet, die der Haarlemer Maler später weitgehend zurücknahm. Es ist die erste deutsche Ruisdael-Ausstellung – unter anderem deshalb, weil Ruisdeal einen Großteil seiner Werke auf empfindlichen Holztafeln produzierte, die von den besitzenden Häusern höchst ungern ausgeliehen werden.

Reisen von Künstlern und Forschern stehen im Mittelpunkt der Jahresend-Ausstellung, die im Oktober beginnt und den Titel Künstler, Forscher, Reisende – Landschaftsmalerei um 1800 zwischen Innenschau und wissenschaftlicher Erkenntnis trägt. Geologische Fragen standen damals im Zentrum des Interesses – und der erstmals detaillierte Blick auf die Natur. Für damalige Verhältnisse entlegene Formationen wie die Schweizer Berge und die norwegischen Fjorde traten damals ins Bewusstsein; man diskutierte über Vulkanismus und die Entstehung des Basalts.

Caspar David Friedrichs Eisschollen- und Gebirgsgemälde sind hier ebenso zu finden wie John Constables Wolkenstudien. Dass für solche Forschungen ausgedehnte Reisen bis nach Südamerika auf Humboldts Spuren nötig waren, versteht sich von selbst. Und dass Caspar David Friedrichs Gemälde als Anschauungsmaterial wissenschaftlicher Veranstaltungen dienten, zeugt von Synergie-Effekten, die heutigen Forschern fremd sind.

Mit neuen Medien befasst sich ab Mitte April die Galerie der Gegenwart, deren 3. Umbau Videotapes und -installationen ins Zentrum rückt. Der medienanalytische Ansatz Bruce Naumanns soll dabei neben Werken – etwa von Rosemarie Trockel und Gregor Schneider – stehen, die neue Facetten der Schock-Ästhetik aktueller Unterhaltungskultur entwickeln. Ein Rahmenprogramm, befasst mit Öffentlichkeit und Gegenöffentlichkeit soll die Schau abrunden. Es folgen die erste große Retrospektive des fotografischen Werks Jürgen Klaukes sowie eine Präsentation der Bildnisse Oskar Kokoschkas, entstanden zwischen 1908 und 1914.

Blätter aus eigenen Beständen bietet die Sommerausstellung Die Masken der Schönheit, gewidmet dem niederländischen Maler und Kupferstecher Hendrick Goltzius (1558–1617), der – parallel zur kunsttheoretischen Diskussion seiner Zeit – die Autonomie der Malerei angesichts der damaligen Glaubenskriege forderte. Zentrale Themen außerdem: künstlerische Qualität, die Bedeutung der Antike sowie die Spannung zwischen Form und Inhalt. Im Juli und September wird die Schau zu sehen sein; es folgt, wie Kupfertstichkabinett-Leiter Andreas Stolzenburg berichtet, eine Goltzius-Retrospektive in Amsterdam, zu der die Hamburger Schau eine kleine Ouvertüre ist. Stilbildende Ouvertüre zu Picassos Werk waren indessen seine Pariser Zeichnungen, entstanden ab 1886. Rund 80 von ihnen sind von März bis Anfang Juni in der Kunsthalle zu sehen – Raritäten auch deshalb, weil etliche der Blätter beidseitig bezeichnet sind. Die Ausstellung ist eine Übernahme aus Amsterdam. Die einzige. Danach werden die empfind-liche Blätter wieder im konservatorisch adäquaten Dunkel dortiger Museumsschränke verschwinden.