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Logo: Schnecke

„Slow Food“ will dem menschlichen Rhythmus wieder Geltung verschaffen und die Geschmäcker verfeinern

Es klingt fast zu schön, um wahr zu sein: Als McDonald’s 1986 ausgerechnet an der Spanischen Treppe, dem Wahrzeichen Roms, eine Filiale eröffnete, war es einigen Feinschmeckern aus dem Land von Pasta und Pizza, Prosciutto und Parmesan zu viel. Aus Protest verspeisten sie öffentlich einen Riesentopf Spaghetti und gründeten den Verein „Slow Food“.

Zum sinnigen Logo wählte man eine Schnecke aus, um allen klar zu machen, worum es ging: dem natürlichen menschlichen Rhythmus gegenüber dem Maschinentakt wieder Geltung zu verschaffen und im gleichen Zuge der Fastfoodkultur die Vielzahl kulinarischer Genüsse entgegenzuhalten.

„Nicht in der Verarmung, sondern in der Verfeinerung des Geschmacks liegt die wahre Kultur begründet“, gab Slow-Food-Präsident Carlo Petrini, ein Gastro-Journalist und bekennender Kommunist, als Parole aus. Der Verein sollte ein Sammelbecken für all jene Verbraucher, Gastronomen, Lebensmittelproduzenten und -händler sein, die ein „Recht auf Genuss“ einforderten.

1989 wurde Slow Food auf einem Kongress in Paris schließlich zu einer internationalen Bewegung ausgeweitet. Mittlerweile haben die Wächter des guten Geschmacks in 42 Ländern insgesamt 70.000 Mitglieder, 4.500 davon in Deutschland – mit steigender Tendenz. Alleine im Jahr 2001 sind in Deutschland über 1.300 Mitglieder dem Verein beigetreten. Neueinsteiger erhalten derzeit übrigens zwei Flaschen Wein als Willkommensgeschenk.

Das Slow-Food-Gründungsjahr 1986 war zugleich auch das Jahr, in dem der Methanolskandal den Ruf des italienischen Weins arg schädigte, worauf in Italien der jährliche Pro-Kopf-

Verbrauch an Wein um mehr als die Hälfte zurückging. Der Zusammenhang ist wichtig, um den Erfolg von Slow Food zu verstehen. Denn Genuss im Sinne von Slow Food ist kein bloßer Selbstzweck, sondern bedeutet vor allem, zu wissen, was man genießt.

Darum wurde die Frage der Lebensmittelqualität zu einem der zentralen Anliegen von Slow Food. In Italien ist Slow Food etwa seit 1987 Mitherausgeber der „Vini d‘Italia“, dem Standardwerk über die besten Weine und ihre Hersteller.

In Deutschland feiert Slow Food in diesem Jahr immerhin schon sein zehnjähriges Jubiläum. Die Mitglieder sind in 35 so genannten „conviniens“ organisiert, wo sie sich nicht nur zum gemeinsamen Kochen treffen, sondern auch öffentlichkeitswirksame Aktionen planen.

Dabei geht es ebenso um naturschonende Produktionsweisen wie um den Erhalt regionaler Gerichte. Eine der zurzeit wichtigsten Kampagnen ist die „Arche des Geschmacks“; gesammelt werden regionale Gemüse- und Obstsorten und lokale Gerichte, die in Vergessenheit zu geraten drohen.

Weil die Arche aber kein Museumsschiff für seltene Lebensmittel sein will, geht es auch darum, Spezialitäten wie den „Herbstprinzen“ – einen Apfel mit typisch sauersüßem Aroma, der nur auf dem kleinen Elbeiland Finkenwerder wächst –, eine Chance auf dem Markt zu geben und damit für den Verbraucher zugänglich zu machen.

„In Nordrhein-Westfalen ist gerade das erste vom Landwirtschaftministerium geförderte Arche-Pilotprojekt abgeschlossen worden“, sagt Andrea Arcais, der Geschäftsführer von Slow Food Deutschland (siehe Interview auf Seite 26) – erste Ergebnisse können auf der Slow-Food-Homepage eingesehen werden.

Oder man wirft einen Blick in das Buch „Deutschlands kulinarisches Erbe“. Darin kann von A wie „Aachener Printen“ bis Z wie „Zwischenahner Aal“ nachgelesen werden, wie vielfältig der Schatz an Spezialitäten der deutschen Regionalküchen ist – denn wer kennt schon das westfälische „Nagelholz“, ein sehr haltbares, geräuchertes Rindfleisch, das als Aufschnitt gegessen wird, oder ein aus Roggen gebrautes, obergäriges Vollbier namens „Schirlinger Roggen“?

Dass in Zeiten von Rinderwahn und Schweinepest der Genuss nicht von der Qualität und geschmacklichen Vielfalt der Lebensmittel zu trennen ist, versucht Slow Food auch auf der Grünen Woche in Berlin deutlich zu machen, wo der Verein gleich mehrfach präsent ist: In einem „Sinnes- und Geschmacksparcours“ zum Beispiel sollen Kinder unter dem Motto „Fühlen wie’s schmeckt“ für natürliche Geschmäcker sensibilisert werden. Am besten wäre es natürlich, die Bildungsministerien nähmen das von Slow Food geforderte Unterrichtsfach für Sinnes- und Geschmacksbildung gleich in die Lehrpläne mit auf.

OLE SCHULZ

Auf der Slow Food-Homepage können Vorschläge gemacht werden, welche lokalen Leckereien unbedingt noch als Passagiere in die „Arche des Geschmacks“ aufgenommen werden sollten. Demnächst kann auf der Seite auch das Rahmenprogramm der Mitgliederversammlung vom 3. bis5. Mai nachgelesen werden (u. a. Veranstaltung zum Thema „Die Zukunft des Geschmacks“ mit der Bundesverbraucherministerin Renate Künast). Nähere Informationen und Kontaktmöglichkeiten sind im Internet aufgeführt unter www.slowfood.de Als Lektüre zu empfehlen: „Deutschlands kulinarisches Erbe“, 199, S., Ars vivendi Verlag 1998.

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