Wenn Brätlinge B-Noten erhalten

Von der Pfanne auf die Pappe, eine Imbissbuden-Kritik im überregionalen Vergleich mit Exkursen in die Welt der Backwaren und Bahnfahrten sowie dem Fazit: Currywurst ist nicht gleich Currywurst. Bon appêtit!

Das Lächeln der Wurstverkäuferin wirkt nur auf den ersten Blick freundlich. Spätestens als sie mit ihren kräftigen Händen wütend die Ketchupflasche malträtiert, sodass diese gequält einen Rest braunroter Soße preisgibt, zeigen sich ihre wahren Absichten: Einmal wieder ist ihr ein ahnungsloser Kunde ins Netz gegangen, der den Mythen um die legendäre Berliner Currywurst glaubte.

Das Rezept und die Zubereitung dieser kulinarischen Hauptstadtspezialität scheint dermaßen einfach, dass sogar volltrunkene Grenzdebile mit ihren Wurstständen die schnelle Mark machen können. Eine Wurst ungeklärter Abstammung und Konsistenz, in möglichst viel Fett gebraten, wird mit Currypulver und einer kalten Ketchup-ähnlichen Substanz in eine Pappschale geworfen, dort zerschnitten – wobei regelmäßig ein Teil der Pappe dem Messer ebenfalls zum Opfer fällt – und mit einem höhnischen „guten Appetit“ versehen. Eine Botschaft, die auch jenseits aller Worte ankommt.

Manchmal hilft es, einen Blick über den regionalen Tellerrand zu werfen, um die kulinarischen Verheißungen anderer Regionen kennen zu lernen. Historisch lässt sich belegen, dass erst die wehleidigen Klagen Zugezogener mit ihren Drohungen und Boykottaufrufen die Berliner Bäcker dazu veranlasst haben, Brötchen zu backen, die mehr als heiße Luft und bleiche Pampe enthielten.

Ortswechsel: Duisburg, Hauptbahnhof, mittags um 13 Uhr. Wahlweise auch Dortmund, Essen oder Bochum. Der Wurstverkäufer nimmt eine Bratwurst vom Rost oder aus der großen gusseisernen Pfanne, die nur einen leicht öligen Glanz hat. „So viel Fett wie nötig, so wenig wie möglich“, heißt die Devise. Das Fleischstück wird auf einem separaten Teller geschnitten oder –besser – durch eine Maschine mechanisch zerkleinert. Das ist wahre Demokratie: Jedes Wurststück wird gleich behandelt, keins ist größer als sein Nachbar in der Pappschale. Nachdem Curry, manchmal auch Paprika, ihren Weg auf den Brätling gefunden haben, kommt der wichtigste Akt der Currywurst-Zeremonie: Eine warme (!) Soße auf Tomatenbasis, die mit verschiedenen Gewürzen verfeinert wurde, ergießt sich über die dampfende Wurst.

Ein Genuss mit Folgen: Nur selten reicht die eine Wurst aus, um den unbändigen Curry-Hunger gequälter Hauptstädter zu stillen. Regelmäßig kollidiert der Heißhunger mit den Abfahrtzeiten des Zuges nach Berlin. Regelmäßig nehme ich den übernächsten Zug. VOLKER ENGELS