Vom Händlertreff zum Event

In den 76 Jahren ihres Bestehens hat die Internationale Grüne Woche oft ihr Gesicht verändert. Ins Leben gerufen wurde sie, um den wilden Handel zu kanalisieren

Es war 1926, als die Grünen mal wieder das winterliche Berlin besetzten und ihren Geschäften nachgingen: Die in Lodenmäntel gekleideten Mitglieder der deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft hielten ihre alljährliche Tagungswoche ab. Fliegende Händler, Handwerker und Industrievertreter boten auf offener Straße vor dem Tagungsviertel gleichzeitig ihre Waren feil. Da die Händler es von Jahr zu Jahr immer doller trieben, hatte ein Berliner Verwaltungshengst die Idee, die Tagung mit einer regelrechten landwirtschaftlichen Ausstellung am Kaiserdamm zu verbinden, um den wilden Handel zu kanalisieren: Die Grüne Woche war geboren.

Dieser Schritt fand damals einhellige Zustimmung. Waren doch vordem Reit- und Fahrturniere, Kleintierausstellungen, ein Saatenmarkt und Jagdschauen über ganz Berlin verstreut. Diese präsentierten sich nun erstmals kompakt auf 7.000 Quadratmetern in einer Funk- und einer Autohalle. 50.000 Besucher kamen im Eröffnungsjahr. Größtes Exponat der ersten Schau war ein eisenbereifter Universalschlepper mit 100 PS. Das vier Meter hohe Ungetüm mit übermannsgroßen Rädern galt als ein Zeichen der beginnenden Mechanisierung in der Landwirtschaft.

Die Veranstaltungen der folgenden Jahre wurden ständig größer. Neuigkeiten wie eine Kannenmelkanlage, ein Raupenschlepper oder leistungsfähigere Getreidesorten hatten fortan auf der Grünen Woche Premiere. Das änderte sich abrupt 1939, als vorläufig die letzte Messe stattfand. Schon zuvor hatten die Nazis und ihr Reichsnährstand die Messe tiefbraun lackiert.

Nach der Vertreibung der Faschisten erweckte der Zentralverband der Kleingärtner, Siedler und bodennutzenden Grundbesitzer im Spätsommer 1948 die „Grüne Woche“ erneut zum Leben. 59 Aussteller zeigten während der Berliner Blockade den Besuchern Riesenexemplare von Kastengurken, Kohlrabi, Kopfkohl und fast zentnerschwere Kürbisse. International wurde die Messe 1951, als ein offensichtlich weit vorausschauender Aussteller aus Holland appetitliche Gemüsepyramiden dem staunenden Publikum offerierte.

Der Bau der Mauer war eine Zäsur, lebten doch 30 bis 50 Prozent der Besucher jenseits der innerdeutschen Grenze. Die Veranstalter reagierten, indem sie Internationalität forcierten. Von den 669 Firmenausstellern stammte fast die Hälfte aus dem Ausland. Insgesamt rund 50 Länder, die meisten aus Westeuropa sowie die USA, Kanada, Israel, Marokko und Libanon, hatten sich zu diesem Zeitpunkt bereits einen festen Platz gesichert. Die Messe erhielt erstmals den Namen „Internationale Grüne Woche Berlin ’62“. Sie basierte zunehmend auf den drei Säulen Ernährungswirtschaft, Landwirtschaft und Gartenbau. Dazu kamen Sonderschauen zu aktuellen Themen, Gemeinschaftsschauen der Länder oder einzelner Regionen sowie ein fachliches Begleitprogramm mit bis zu 150 Fachveranstaltungen.

In den 70er-Jahren, als die Agrarüberschüsse zunehmend drückten, wurde das Thema Essen und Trinken immer mehr ästhetisiert und in Showprogramme eingebettet: die IGW als Event. Gleichzeitig förderte die Land- und Ernährungswirtschaft den Absatz von Agrarprodukten durch Fachinformationen und Aufklärung über die Produktion und Veredlung landwirtschaftlicher Erzeugnisse.

Nach der Wiedervereinigung änderte sich am Grundkonzept kaum etwas. Es kam zwar einiges programmatisch Nachvollziehbares wie die Fruit Logistica, die Landmaschinenschau oder Heim, Tier & Pflanze hinzu. Aber neue Segmente wie die für „Grünes Geld“ oder „Erneuerbare Energien“ integrieren sich noch nicht so recht. Die Grüne Woche hat ein Imageproblem, auch wenn der Veranstalter meint, es sei von den Medien nur „herbeigeredet“. TILMAN VON ROHDEN