ohne tod kein patriot
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von WIGLAF DROSTE

Oft weht uns Fremdheit an beim Betrachten anderer Warmblüter. Wenn sie die neuen Geldscheine zu Fächern ordnen, diese triumphierend in die Gegend recken und dabei ihre so genannten Gesichter zu einer Grinsemaske verzerren, deren Ausdruck mit debil noch sehr zurückhaltend beschrieben ist, irritiert das den Augenzeugen. Niemand hält den Scheinewinkern eine Pistole an den Kopf, sie tun es völlig freiwillig. Sie leben in Freiheit, wie man so sagt, und die ist das höchste Gut, sie gilt es zu verteidigen, überall auf der Welt, bis zum Tod.

Am 6. Januar 2002 kann die Berliner Bratfettgazette B.Z. über den ersten toten amerikanischen Soldaten in Afghanistan losjubeln: „Er fiel für die Freiheit.“ Für wessen und für welche? Egal. Hauptsache, Blut ist geflossen. Blutfluss ist wichtig. Blut ist der Saft, aus dem Patriotismus gewonnen wird.

Wenn alle zwanghaft an einem Strang ziehen, muss man sich fragen, wer oder was am anderen Ende in der Schlinge hängt. Wie kriegt man Gedanken in Uniform? Das Geschwätz von der Identität, das Gewalsere, das „Gerade wir als Deutsche“-Genöcke, all das hat bei der kollektiven Verweichbirnung geholfen. Aber nichts schweißt die vielen Vereinzelten so pattexfest zusammen wie ein richtiger Krieg. Auch wer nicht selbst teilnimmt, kann, indem er von „unseren Jungs“ trompetet, ein bisschen im Geiste mitmachen.

Genau deshalb zeigt die Süddeutsche Zeitung am 3. Januar 2002 auf ihrer Seite eins das Bild eines deutschen Marinesoldaten, der zum Abschied seine blonde Freundin küsst, „sein Mädel“, wie das im Landserjargon heißt. Das Bild ist reine Pornographie; da aber alle an ihr beteiligt sind, gilt sie als völlig in Ordnung, und nützlich ist sie auch: Indem sie mit Phantomgefühlen aufgeladen wird, entwickelt sich eine Volksseele.

Krieg ist ein Segen für schwache Charaktere mit erhöhtem Anschlussbedarf. In seinem Massenschmöker „Die Nadel“ lässt Ken Follett eine Hauptfigur bilanzieren: „Der Krieg war strapaziös, bedrückend, enttäuschend und lästig, doch man hatte Freunde. Godliman hatte das Gefühl, dass er am Leben verzweifeln würde, wenn der Frieden die Einsamkeit zurückbrachte.“ Da lernt man die Einsamkeit erst richtig schätzen.

Eine wichtige Rolle bei der Zurichtung der kollektiven Psyche zur Kriegstauglichkeit spielen die rituell beschworenen unschuldigen Opfer. Wieder und wieder wurden die Angehörigen der New Yorker Anschlagopfer gezeigt, ihre Tränen, ihre Wut. Es galt, ihre individuellen Emotionen zu kollektivieren, überall in der freien Welt. Wenn man sich weigert, bei dieser fadenscheinigen Sache mitzutun, muss man damit rechnen, als gefühllos und kalt etikettiert zu werden. Dabei ist an Mitgefühl kein Mangel. Groß ist das Mitleid mit den auch in ihrem tiefsten Schmerz noch ausgebeuteten, medial verarbeiteten und auf ihre Verwertbarkeit hingerichteten Menschen, und schauderhaft ist es anzusehen, wie sie diese einzige Ware, die ihnen verblieben ist, noch stolz zu Markte tragen. Aber wegen dieses Gefühls zum Krieg bereit zu sein, wäre einfach nur dumm und falsch.