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: Anstoß – ein ganzes Jahr Fußball

Perlen vor die Leser

Okay, okay! Es sei ja zugegeben: Es ist etwas spät, um einen Kalender anzupreisen, zumal einen fürs Jahr 2002. Andererseits hoppeln die Bälle hier zu Lande ja nach wie vor nur trainingsmäßig übers gefrorene Gras, und so ist es bestimmt noch nicht zu spät, um an dieser Stelle auf jenen Fußballkalender hinzuweisen, der einen wunderbar schlichten und schon deshalb zum Metier passenden Titel trägt: „Anstoß“.

Dabei lassen die Kalendermacher Marius Kliesch, Günter Joschko und Tina Schlemmer schon in ihrem Vorwort an „liebe Freundinnen und Freunde des Fußballs“ wissen, unter welchem Vorsatz sie die 183 Kalenderblätter (eins für je zwei Tage) gefüllt haben – nämlich zur puren Unterhaltung, bei der sich allerdings auch für so manche Information ein Plätzchen findet. Kurzum: „Prall voll mit Anekdoten, Liebhabereien, Witzigem und Aberwitzigem rund um den Ball.“

Nun ist diese Idee nicht prinzipiell neu, meist aber bleibt es beim guten Vorsatz – und letztendlich bei den Geschichtchen und Zitaten, die man sich schon erzählt, seit der Ball das Rollen gelernt hat und die längst viel müder daherkommen als das müdeste 0:0: die „Fußball ist ein Spiel für elf Mann und am Ende gewinnen immer die Deutschen“-Sprüchlein, die kaum mehr noch einen Torwart aus dem Tor herauslocken können – und, zu allem Überfluss, längst nicht mehr der auf dem Platz liegenden Wahrheit entsprechen.

Mit solchen Plattitüden gibt sich „Anstoß 2002“ nicht ab. Vielmehr ist dem Kalender deutlich anzumerken, wie sehr sich die Macher bemüht haben, neue Fußballperlen auszugraben, um sie nun ein ganzes Jahr lang vor die Leser zu werfen. Beispiele gefällig? „Die schönsten Tore sind diejenigen, bei denen der Ball schön flach oben reingeht“, sagt beispielsweise Mehmet Scholl am 31. Januar. Oder hätten Sie etwa aus dem Stand gewusst, seit wann Köln einen Geißbock als Maskottchen hat und wie es dazu kam, dass der Hennes heißt? Erzählt wird die Geschichte am 10. Februar und geht so: „Kurz nach Gründung des 1. FC Köln (1948 per Fusion) stiftete Zirkus-Chefin Carola Williams den ersten Bock, 1951 im Zirkuszelt, bei – logo – einer Karnevalssitzung. Als das Böcklein dann bei erstbester Gelegenheit den damaligen Spielertrainer Hennes Weisweiler voll pinkelte, hatte es auch seinen Namen weg. Seither heißt der Bock Hennes plus ‚der Erste‘, ‚der Zweite‘; wie der Karnevalsprinz bzw. der Papst.“ Von der weiteren Geißbockgeschichte erfährt man zudem, dass sie „ganz schön haarig“ war, traurige Höhepunkte bildeten dabei Hennes III., der eines Morgens vergiftet im Stall aufgefunden wurde, sowie Hennes VII., der gar aus dem Müngersdorfer Stadion verbannt wurde – wegen der Maul- und Klauenseuche. Besondere Aufmerksamkeit verdient auch der 20. Februar, in dem es um Kaiserschmarrn geht und die Rede ganz automatisch auf Kaiser Franz kommt, frei nach dem Motto: „Es ist nicht wahr, dass Beckenbauer zu nichts eine klare Meinung hat. Er hat zu allem mehrere. Und er hat sein eigenes Dementi immer dabei.“

Apropos Firlefranz: Zu bester WM-Zeit, am 12. Juni, wird ausführlich daran erinnert, wem Deutschland die WM 2006 zu verdanken hat: Martin Sonneborn nämlich, dem Titanic-Chefredakteur, der seinerzeit dem Fifa-Stimmvieh ein Fax ins Hotel geschickt hatte mit dem Inhalt: Stimmt für Deutschland, dann bekommt ihr einen Geschenkkorb mit „wirklich guten Würstchen“ und eine wundervolle Kuckucksuhr dazu. Ein Schreiben, das zumindest den Neuseeländer Charles Dempsey beeindruckt haben muss, der sich schließlich seiner Stimme erhielt und das Abstimmungsergebnis von 12:11 für Deutschland erst ermöglichte.

Ihre Stimme keineswegs enthalten, sondern kräftig für Deutschland gestimmt haben hingegen Saudi-Arabien, Südkorea und Thailand. Die Hintergründe werden am 10. Juni aufgedeckt: „Vor der Abstimmung hatte der Bundessicherheitsrat unter Kanzler Schröder in vertraulicher Sitzung der Lieferung von 1.200 Panzerfäusten an Saudi-Arabien zugestimmt, DaimlerChrysler hatte eine Allianz mit dem südkoreanischen Autobauer Hyundai geschlossen, und man sprach von einem Kapitaleinstieg in Höhe von 800 Mio. Mark, die Bayer AG investierte in Südkorea und stellte dem Werk Map Ta Phut in Thailand eine Verdreifachung der Polycarbonatproduktion in Aussicht, BASF kündigte für Thailand eine 800 Millionen-Mark-Investition an und, und, und . . .“ Am Ende kann nur noch verwundern, dass die Abstimmung trotz all dieser besten Argumente pro Deutschland so knapp mit 12:11 ausging.

Sollte die deutsche Elf bei der WM ein ähnliches Ergebnis erleben, dürfte es sich höchstwahrscheinlich um eine Entscheidung aus elf Metern handeln. Für diesen Fall sei das Kalenderblatt des 26. Juni, dem Tag des Halbfinales, ans Herz gelegt. Auf dem erinnert sich Paul Breitner, wie das einmal bei ihm war im Elfmeterschießen, 1982 im WM-Halbfinale gegen Frankreich nämlich, das Deutschland 5:4 gewann. Breitner: „Wir hatten alle die Hosen voll, aber bei mir lief’s ganz flüssig.“ Für solche Zitate halten wir’s gerne mit Horst Hrubesch (27. August): „Ich sage nur ein Wort: vielen Dank!“

FRANK KETTERER

„Anstoß – Der Fußballkalender 2002“. Autoren und Herausgeber: Marius Kliesch, Günter Joschko; Gesamtgestaltung: Tina Schlemmer; 10,20 €; ISBN 3-00-008153-4Kontakt: info@fußballkalender.de