Die steilen Thesen Werner Müllers

Mehr Klimaschutz führe zu „volkswirtschaftlichen Verwerfungen“, koste jeden Haushalt bald 1.500 Euro im Jahr, so steht‘s im Energiebericht des Ministers. Drei prominente Energieforscher kritisieren ihn nun heftig: Maßlos übertreibe er die Kosten

aus Berlin MATTHIAS URBACH

„Im Energiebericht steht auch vieles richtig drin.“ Diesen Satz schob Hans-Joachim Ziesing vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) vor seine Kritik an den Energiebericht von Wirtschaftsminister Werner Müller. Ein Satz, der illustriert, wie heftig inzwischen das Papier ins Gerede gekommen ist, mit dem Müller drei Grundaussagen begründet: Die Fortschreibung des Klimaziels von minus 25 Prozent (bis 2005) auf minus 40 Prozent (bis 2020) koste erstens die Volkswirtschaft 250 Milliarden Euro, jeder Haushalt werde im Jahr 2020 rund 1.500 Euro zahlen müssen. Deshalb führe zweitens mehr Klimaschutz zu „volkswirtschaftlichen Verwerfungen“. Schließlich vergrößere drittens die Schonung der Atmosphäre Deutschlands Abhängigkeit vom Energieimport.

Alles drei sei falsch, so Ziesing. Und fand darin Unterstützung von Manfred Fischedick vom Wuppertal-Institut und Felix Matthes vom Öko-Institut. Letzterer wurde besonders deutlich: So wie Müllers Bericht das zugrunde liegende Prognos-Gutachten darstellt, sie das „ein Missbrauch und eine Verzerrung“ der Forschung. Doch auch die Gutachter vom Prognos-Institut selbst wurden nicht geschont: Die Annahmen, mit der sie die Klimaschutzkosten ermittelt hatten, seien zum Teil „unplausibel“, zum Teil „höchst fragwürdig“ (Matthes). Sie lägen zwischen fünf- und zehnmal über den tatsächlichen Kosten.

Die drei renommierten Experten hatten auf Bitten der energiepolitischen Sprecherin der Grünenfraktion, Michaele Hustedt, den Enegiebericht analysiert. Besonders kritisierten sie, dass viele Relativierungen, die die Prognos-Leute über ihre Ergebnisse gemacht hatten, in Müllers Bericht nicht mehr auftauchten.

Überhaupt genüge Müllers Vorgehen nicht wissenschaftlichen Standards. So machte der Minister sich nicht die Mühe, den Sachstand der wissenschaftlichen Debatte zusammenzufassen, und stützte sich nur auf das eine Gutachten. Dieses kommt etwa zu der Annahme, dass die Einsparung des klimaschädlichen Kohlendioxids bis zu 660 Euro pro Tonne kosten werde. In acht anderen vergleichbaren Studien kommt kein Gutachter auf Kosten von über 160 Euro. Zwei Drittel der angeblichen Kosten im Jahr 2020, vor denen Müller so eindringlich warnt, entstünden angeblich im Verkehr. Dieser Effekt beruht darauf, dass Prognos günstige Sparmöglichkeiten wie attraktivere Busse und Bahnen ignorierten.

Wie absurd die Annahmen zum Teil sind, wird am Beispiel Haushaltsgeräte deutlich. Rechne man die Annahmen zurück, erklärt Felix Matthes, so ergebe sich, dass jeder Haushalt allein 1.700 Euro zusätzlich für zwei neue Haushaltsgeräte ausgeben müsse, bloß um seinen Stromverbrauch um zehn Prozent zu drücken.

Und während Müllers Bericht Horrorzahlen beim Klimaschutz produziere, lasse er die Kosten etwa der Steinkohle weg. Akkumuliert bis 2020 koste ein subventionierter Sockelbergbau, wie von Müller gefordert, nach Schätzungen von Matthes rund 50 Milliarden Euro. Matthes zufolge zeichne Müllers Bericht die Debatte vor, die man demnächst mit Industrie und Strukturkonservativen führen müsse. Die Worte „Energiesparen“ und „Kraft-Wärme-Kopplung“ kämen bei den langfristigen Handlungsorientierungen im Bericht nicht mal mehr vor.