Immer im Bild

Zwischen aufrechtem Unbehagen und blanker Faszination: Mit seiner Filmreihe „Überwachen und Aufzeichnen“ zeigt das Arsenal-Kino, dass Überwachungsszenarien eine sehr lange Tradition im Kino haben und dabei von unterschiedlichster Art sind

von ANDREAS BUSCHE

Kaum anzunehmen, dass der morgendliche Weg zum Bäcker heute noch unbeobachtet bleibt. Die Zahl an innerstädtischen Überwachungskameras ist in den letzten Jahren so inflationär hochgeschnellt, dass die Vision einer totalen Kontrollierbarkeit des Stadtraumes längst nicht mehr wie Zukunftsmusik klingt. Nie mehr allein. Aber eigentlich ist es auch egal geworden. So vertraut ist uns der kontrollierende Blick inzwischen aus dem Kino, dem Fernsehen, dem Internet, dass wir ihn uns schon komplett verinnerlicht haben. Unsere Bewegungen im öffentlichen Raum sind gezeichnet von dem Phantasma ständiger Beobachtung – und wer will da schon eine schlechte Figur abgeben?

Gleichzeitig aber haben wir es uns in der Vorstellung, ständiger Hauptdarsteller unseres eigenen kleinen Dramolette zu sein, auch ganz nett eingerichtet. Diese Imagination einer lückenlosen Observation ist die Konsequenz einer noch nicht sehr alten, staatlichen Sicherheitsparanoia, die sich in den letzten Jahren auf das Verhältnis von öffentlichen und privaten Sphären erweitert hat. Diese politische und juristische Dimension ist aber nur die eine Seite eines wachsenden Interesses für gewisse voyeuristische Praktiken: Im Anbetracht einer Flut von Überwachungs- und Kontrollszenarien in Kino („Truman Show“, „Staatsfeind Nr. 1“) und Fernsehen („Big Brother“) der letzten Jahre, wäre es vielleicht sogar nicht einmal sarkastisch, von einer Hipness des „Überwachungsspektakels“, wie es der Medienwissenschaftler Thomas Levin nennt, zu sprechen.

Das Arsenal lanciert seine Filmreihe „Überwachen und Aufzeichnen“ also zu einem Zeitpunkt, der ganz unvermittelt auch den Nerv der Bilder trifft, denen wir im letzten Vierteljahr permanent ausgesetzt waren. Denn natürlich verdanken die Medien die lückenlose Dokumentation der Anschläge vom 11. September nicht zuletzt der Tatsache, dass im öffentliche Raum von New York heute nichts mehr unbeobachtet bleibt. Genauso wie das heiß diskutierte Videomaterial Ussama Bin Ladens von einer wahnsinigen Selbstinszenierungswut zeugte. Gleichzeitig, und hier kommt eine dritte Hypothese für den neuen Überwachungsboom ins Spiel, benötigte Bin Laden genau diese mediale Präsenz, um als reale Figur – und eben nicht nur als Mythos – in Erinnerung zu bleiben. Das macht die visuellen Reproduktionsmaschinen zur „Technologie des Selbst“.

„Überwachen und Aufzeichnen“ legt eine lange Tradition von Überwachungsszenarien im Kino offen, die von ganz disparaten Erfahrungen berichten. Auffällig ist die Tatsache, wie sehr das Unbehagen gegenüber der Kontrollinstanz langsam einer blanken Faszination gewichen ist, innerhalb der die Kritik am Missbrauch nur noch eine Alibifunktion übernimmt. Vielmehr scheint, dass simulierte oder echte Überwachungsaufnahmen in Hollywood-Filmen wie z. B. Brian de Palmas „Snake Eyes“ vor allem als ästhetische Option begriffen werden, formal eventuell noch als Synonym für „Echtzeitlichkeit“.

„Snake Eyes“ ist ein besonders interessanter Fall dieser Sorte Film, weil unter seinem affirmativen Einsatz von Technologie der kritische Überwachungsdiskurs der letzten Jahre bereits wieder erodiert. De Palma folgt mit seiner Inszenierung einer ausverkauften Stadionsporthalle der Logik von Jeremy Benthams „Panopticon“. Ende des 18. Jahrhunderts lieferte Bentham mit seiner Architektur eines panoptischen Gefängnisbaus das klassische Kontroll- und Machtmodell: Wir können sie sehen, sie aber nicht uns. Die Ungewissheit über den Observationsstatus erzieht den Gefangenen somit zu vorauseilendem Gehorsam. Auf der Jagd nach einem Attentäter wird bei De Palma die Sicherheitstechnik des Stadions zur Autorität höchster Ordnung. Hier wird auch eine grundlegende Eigenschaft des Überwachungsapparats erkenntlich: Das System wird erst real (d. h. sichtbar), wenn seine Bildermaschine durch einen Zwischenfall aktiviert wird.

In Michael Kliers Kompilationsfilm „Der Riese“ von 1983 spielte dagegen noch eine Menge Unbehagen im Umgang mit den Überwachungsbildern mit hinein. Im Jahr vor dem Orwell-Jahr hatte man sich an die „Big Brother“-Verschwörungstheorien bereits gewöhnt; dass die visuelle Kontrolle des öffentlichen Lebens aber bereits so weit in alle Lebensbereiche fortgeschritten war, hätte wohl trotzdem kaum jemand für möglich gehalten. Klier lässt in „Der Riese“ das gefundene Überwachungsmaterial durchlaufen und verleiht den Szenen durch Montage und Musikeinsatz eine Art Dramaturgie. Der große Bruder ist bei ihm zu einem Monstrum von erschreckenden Ausmaßen mutiert.

Ähnlich dezidiert setzt sich Harun Farocki in seinen „Gefängnisbildern“ mit dem Gewaltapparat der Bilder auseinander. Seine Reflexion über die Zurichtung von Menschen zu gefügigen Subjekten erzählt Geschichten von staatlicher Brutalität und inhumaner Konditionierung durch Überwachung. Ein Gefangener liegt neun Minuten schwer verletzt im Gefängnishof; als er endlich geborgen wird, ist er tot.

Das „Phantasma der Beobachtung“ hatte aber auch Ende der Sechzigerjahre durchaus noch ein bedrohliches Potenzial. Nicht fehlen dürfen in dieser Filmreihe deshalb natürlich Francis Ford Coppolas „Surveillance“-Klassiker „The Conversation“ und Antonionis „Blow Up“, letzterer sozusagen noch aus einer inzwischen scheinbar unendlich weit zurückliegenden Epoche der fotochemischen Reproduzierbarkeit.

Die Filmreihe „Überwachen und Aufzeichnen“ läuft bis zum 6. 2 im Arsenal am Potsdamer Platz