„Nicht nur auf eine einzige Ressource setzen“

Windenergie aus Sicht der Wissenschaft: Offshore-Parks sind die Basis für Wasserstoffnutzung. Interview mit Olav Hohmeyer von der Uni Flensburg

Olav Hohmeyer hat seit 1998 die Professur für Energie- und Ressourcenwirtschaft an der Universität Flensburg inne. Hier leitet er auch den neuen Studiengang Energie- und Umweltmanagement. Die Themen der Branche kennt er als Vorsitzender der Fördergesellschaft Windenergie.

taz: Warum setzen sich Wissenschaftler, Unternehmer oder auch viele Politiker für den Ausbau regenerativer Energiequellen ein?

Olav Hohmeyer: Mindestens zwei Quellen speisen fast alle Anstrengungen, um im Bereich der regenerativen Energien voranzukommen. Erstens: die Nutzung der fossilen Energieträger; sie verursacht im Wesentlichen die Klimaproblematik. Zweitens: die Großrisiken der Kernenergie. Für mich bedeutet das, dass wir innerhalb der nächsten 30 bis 50 Jahre aus beiden Technologien aussteigen müssen.

Welche Rolle muss die Windenergie übernehmen, wenn die Energieversorgung durch regenerative Energien erfolgen soll?

Zu den regenerativen Energien gehören mehrere Formen der Solarenergie: die direkte Solarenergie – thermische und elektrische Energie – und die indirekte Solarenergie – Biomasse, Wellen-, Wind- und Gravitationsenergie; als letzte die Geothermie. In diesem Mix hat die Windenergie eine besondere Rolle, weil wir sie zu vergleichsweise geringen Kosten nutzen können. Wir haben in den letzten zehn Jahren technische Systeme entwickelt, die an guten Standorten für 10 bis 12 Pfennig (5–6 Eurocent) pro Kilowattstunde Strom erzeugen. Bei Photovoltaik haben wir je nach Standort Preise noch zwischen 1 bis 1,50 Mark (51–77 Cent).

Die Gesellschaft wünscht den möglichst schnellen Umstieg auf regenerative Energien. Den können wir mit Windenergie einleiten. Sie hat in Deutschland in den 90er-Jahren endgültig die Bastlerecken verlassen und sich zu einer professionellen Industrie entwickelt. Diese Industrie verfügt über Technologien, die in großen Offshore-Windparks ein Gigawatt Leistung produzieren können – Größenordnungen von Atomkraftwerken.

Welche Bedeutung haben Offshore-Windparks?

Wir haben derzeit in Deutschland eine installierte Leistung von rund 7.000 Megawatt Windenergie. Jedes Jahr kommen zurzeit etwa 2.000 Megawatt dazu. Da wir auf Dauer ungefährliche Energiequellen einsetzen müssen, sehe ich ein großes Potenzial für Offshore-Windparks.

Wie viel Strom kann Windenergie produzieren – in Deutschland und weltweit?

An Land haben wir ein erhebliches Potenzial, das jenseits der 10 Gigawatt liegt; über 80 Prozent davon in den Küstenländern. Im Vergleich zu dem, was wir in der Nordsee haben, macht das aber nur einen geringen Teil aus. Allein der deutsche Teil der Nordsee – ohne Wattenmeer und andere Flächen – hat ein Potenzial, das um das Zwei- bis Dreifache den jährlichen Stromverbrauch von etwa 500 Terrawattstunden in Deutschland übertrifft. Im Vergleich zu Europa sind diese Windressourcen aber gering und eher mittelmäßig von der Windgeschwindigkeit und klein von der Fläche her. Wir könnten den größten Teil der Stromerzeugung in Europa mit Windenergie decken, wenn wir den Strom zwischenspeichern.

Die Amerikaner müssen nicht einmal offshore gehen. Sie haben an Land so gute Windgeschwindigkeiten und große nutzbare Flächen, dass sie ihren ganzen Strom mit Windkraft erzeugen könnten. Die Australier setzen im Moment zwar heftig ihre Kohle ein, sie haben aber auch sehr große Windressourcen. Sie haben aber auch gleichzeitig umfangreiche Solarressourcen. Je weiter wir uns in Richtung Äquator bewegen, umso mehr löst die Solarressource die Windressource ab. Weltweit rechne ich damit, dass mit Windenergie in 50 Jahren rund 30 Prozent des Stroms produziert wird.

Welche Rolle spielt die Windenergie langfristig?

Wir dürfen nicht nur auf eine Ressource setzen. Es muss eine Mischung aus verschiedenen regenerativen Energien geben. Ich rechne mit einer Übergangszeit, in der die Windenergie und Erdgas die wichtigsten Plätze einnehmen. Erdgas deshalb, weil die Kraftwerke innerhalb von 15 Minuten den eventuellen Leistungsabfall von Windkraftanlagen übernehmen können. Langfristig können Offshore-Windparks mit einem Teil der erzeugten Energie Wasserstoff produzieren, den die noch zu bauende Wasserstoff-Infrastrukur dann aufnimmt. Wir bekommen in ein paar Jahren speziell für den Individualverkehr eine solche Infrastruktur. Die Windkraftanlagen können dann direkt Strom produzieren und je nach Bedarf auch Wasserstoff.

INTERVIEW: WERNER BRUCKNER