Das Haus auf dem duftenden Hügel

Im Xiang-Shan-Hotel am Stadtrand von Peking erwartet die Gäste ein faszinierender Bau inmitten idyllischer Abgeschiedenheit

Die einen packt er schon am dritten, die anderen am fünften Tag, und früher oder später kriegt ihn jeder: den Pekingkoller, ein trotziges Aufbäumen der Seele gegen die krasse Wirklichkeit der Stadt; gegen das Schwindel erregende Gewusel des Verkehrs, die grobkörnige, smoggeschwängerte Luft; gegen die atemlose Dynamik dieser sich selbst über den Kopf wachsenden Metropole. Bloß raus hier! Irgendwohin, wo es still und grün und heilsam ist.

Es gibt ein solches, anderes Peking, und wundersamerweise liegt es sogar innerhalb des Stadtgebiets, wenn auch im äußersten Nordwesten. Schon sein Name wirkt wie ein Köder: Xiang Shan – der duftende Hügel. Ein üppig bewaldeter, amphitheaterartig gewölbter Berg, der sechshundert steile Meter aus der Ebene emporragt. Zu seinen Füßen steht eine der ungewöhnlichsten und nach wie vor modernsten Unterkünfte der Stadt: das Xiang-Shan-Hotel.

Faszinierender Komplex

Wo schon vor achthundert Jahren buddhistische Mönche ihre Rituale pflegten, wo später Chinas Kaiser zur Jagd weilten, breitet sich seit Anfang der Achtzigerjahre dieser Aufsehen erregende Komplex unter den alten Kiefern, den Ahorn- und Ginkgobäumen aus. Entworfen von Ieoh Ming Pei, dem berühmtesten Architekten chinesischer Herkunft, der später dem Louvre die gläserne Pyramide bescherte und derzeit in Berlin das Deutsche Historische Museum umbaut.

Pei schuf einen gleichermaßen traditionsbewussten wie avantgardistischen Bau. Vom Grundriss bis zum kleinsten Fenster eine Stein gewordene Liebeserklärung an die Geometrie, an die Kraft und Schönheit universeller Grundformen wie Kreis, Dreieck oder Viereck.

Vom großräumigen Lichthof im Zentrum aus führen die vier Seitenflügel in lauschige kleine Gärten hinein. Diese bilden einen Park im Park, einen Mikrokosmos chinesischer Gartenkunst.

Etwa zwanzig Arrangements reihen sich kaleidoskopartig aneinander. Sie tragen poetische Namen wie Teich der Fließenden Farben, Tönende Quelle, Fliegender Felsen oder Steinerner Wald.

Ob in diesem Miniaturidyll oder draußen im kaiserlichen Garten, der sich zum Kamm des Berges erstreckt – hier wie dort wandeln die Besucher von Szene zu Szene und werden von einer raffinierten Landschaftsregie zu immer neuen Überraschungen gelockt: zum fernen roten Pavillon im Grün, zur Pfauenvoliere, zum Glockenturm mit den lasierten Ziegeln, zum wuchtigen, alten Tempeltor.

Zimmer mit Handschrift

Man kann den Park tagelang durchstreifen und immer neue Kleinode entdecken. Einen Steinwurf entfernt findet sich auch Maos erstes Domizil in Peking, die Villa, von der aus er die Übergabe der Stadt verhandelte und den dritten, entscheidenden Feldzug am Jangtse aus der Ferne dirigierte. Vergilbte Generalstabskarten und abgewetzte schwarze Ledersofas vermitteln noch etwas vom asketisch-autoritären Stil der Vierzigerjahre.

Das Hotel selbst verkörpert den Geist seiner Entstehungsjahre, die Aufbruchstimmung und Neubesinnung nach dem Desaster der Kulturrevolution. Obwohl seither in Peking Dutzende pompöser Luxushotels in den Himmel schossen, ist es eines der wenigen Häuser mit eigenständiger Handschrift geblieben – auch wenn die Einrichtung der überaus geräumigen Zimmer allmählich etwas in die Jahre kommt und die Fassade einen neuen Anstrich vertragen könnte. Wer täglich im Zentrum zu tun hat, für den eignet sich das Xiang-Shan-Hotel wegen seiner abgeschiedenen Lage nicht. Wer aber nach getaner Arbeit oder vollbrachtem Sightseeing ein paar Tage ausspannen und dabei Chinas Jahrhunderte alte Gartenkunst kennen lernen will, wer das Privileg vollkommener Stille und den Zauber der umgebenden Natur genießen möchte, dem sei das Haus auf dem duftenden Hügel empfohlen.

STEFAN SCHOMANN

Xiang-Shan-Hotel, Xiang-Shan-Park, 100093 Peking. Tel.: (00 86 10) 62 59 12 58, Fax: 62 59 17 62. Preise je nach Saison ab 70 Euro fürs Doppelzimmer, am Wochenende etwas teurer. Taxifahrt vom Zentrum zirka 6 Euro, Buslinie 318 nahe der U-Bahn-Station Pinggouoyuan bis zur Endstation Xiang Shan