Im Luxus-Künstlerhaus

Spät, aber heftig sind Brasiliens Fernsehsender auf die Big-Brother-Welle aufgesprungen. Trotz einer Plagiatsklage ist die Show des Entertainers Silvio Santos mit Fotomodellen und Punks ein Renner

Vom blondierten Ex-Playboy-Model bis zur „manipulativen“ Dunkelhaarigen

aus São Paulo GERHARD DILGER

Wie erzielt man mit einer neuen Unterhaltungssendung Traumquoten, und das in Brasilien, dem Mekka der Seifenopern? Wie schafft man es, mit einer relativ preiswerten Produktion die erfolgsverwöhnte Konkurrenz TV Globo um Längen auszustechen? Wie bleibt man sieben Wochen lang Tagesgespräch, ohne auf das Erfolgsrezept Sex & Crime zu setzen?

Dem Entertainer Silvio Santos, der es vom Straßenverkäufer zum Besitzer des zweitgrößten brasilianischen Fernsehsenders SBT gebracht hat, ist mit der Reality-Show „Casa dos Artistas“ sein bisher größter Coup gelungen. Der Marktführer TV Globo strahlt zwar schon die dritte Folge des Aktionsspiels „No Limite“ („An der Grenze“) aus, bei dem die bislang unbekannten TeilnehmerInnen auf einer Amazonasinsel entscheiden, wer ihren erlauchten Kreis verlassen muss.

Santos variierte das Big-Brother-Grundmuster, indem er zweitrangige Fotomodelle, Schauspieler und Sänger verpflichtete, die in einer Luxusvilla von São Paulo eingesperrt wurden. Das Massenpublikum bekam täglich eine halbe Stunde Highlights aus dem „Künstlerhaus“ serviert, die Rund-um-die Uhr-Variante präsentierte ein Kabelkanal.

Außerdem reicherte Santos die Sonntagssendung mit bewährten Elementen aus seinem Erfolgsquiz „O Show do Milhão“ an. Er moderierte höchstpersönlich, präsentierte den Teilnehmern genüsslich mehr oder weniger schmeichelhafte Presseausschnitte und ließ die Zuschauer per Telefon abstimmen. Bei Bedarf unterbrach er seinen Smalltalk, damit die Werbeblocks synchron zu denen der Konkurrenz geschaltet werden konnten.

Einen zusätzlichen Werbeeffekt verschaffte ihm Globo, das sich die Big-Brother-Rechte gesichert hatte, aber mit einer Klage nur zwei Tage lang die Ausstrahlung des angeblichen Plagiats stoppen konnte.

Damit die Dramaturgie stimmte, setzte sich der 71-jährige Patriarch, der stets mit breitem Grinsen und nachgefärbtem, leicht pomadiertem Haupthaar auftritt, großzügig über die Spielregeln hinweg: Als „Bad Guy“ Alexandre Frota frühzeitig das „Künsterhaus“ verließ, erhöhte ihm Santos die Gage und überredete ihn zur Rückkehr. Dann drohte das charmante Muskelpaket, das das Publikum durch gezielte Provokationen gegen sich aufbrachte, im Abstimmungsduell gegen den schwarzen Außenseiter Taiguara auszuscheiden, der einen seiner Sonntagsauftritte zu einem flammenden Appell für die stärkere Berücksichtigung von Afrobrasilianern in den Medien genutzt hatte. Kurzerhand soll der Sender mehrere Zuschauer, die für Frota stimmen wollten, aus der Leitung gekickt haben.

Farblos bis peinlich agierten dagegen die meisten geladenen Frauen: Die Palette reichte von einem blondierten, ständig in Tränen aufgelösten Ex-Playboy-Model bis zu einer „manipulativen“ Dunkelhaarigen, die entsprechend früh hinausgestimmt wurde.

Das Schlussvotum schien reine Formsache zu sein: Schon bald hatte sich Edelpunk Supla, der in der Achtzigerjahren einen Hit mit Nina Hagen landen konnte, als absoluter Publikumsliebling entpuppt. Bislang hatte der 35-Jährige im Schatten seiner prominenten Eltern gestanden. São Paulos Bürgermeisterin Marta Suplicy und der Senator Eduardo Suplicy, beide von der linken Arbeiterpartei PT, traten gleich zweimal in der Sendung auf.

Ihr meist heiter gestimmter Sohn nutzte die Sendung, um sein Image als Bürgerschreck abzulegen und recht penetrant für seine neue CD zu werben – mit Erfolg: Die zum Niedrigpreis an Zeitungskiosken verkaufte Scheibe wurde zum Bestseller.

Und vor allem bildete er mit Barbara Paz, einer Schauspielerin im Hippie-Look, schon bald das Liebespärchen der Sendung, das sich zur Zweisamkeit unter ein provisorisch aus Decken errichtetes Zelt zurückzuziehen pflegte. Die Überraschung: Beim Finale vor ein paar Wochen votierten die Zuschauer gegen Supla und für seine neue Freundin, denn, so die einhellige Begründung, sie habe das Preisgeld von rund 130 000 Euro „nötiger“ als der Politikersohn aus gutem Hause.

In wenigen Tagen, wenn das Globo-„Original“ anläuft, droht Santos mit der „Casa dos Artistas 2“. Zwar war die holländische Big-Brother-Produktionsfirma Endemol vor einem Gericht in Amsterdam mit einer Unterlassungsklage gegen den Santos-Sender SBT erfolgreich, doch dessen Anwälte werden kaum klein beigeben. Ein Fall für das Schiedsgericht der Welthandelsorganisation?