Die taz und die E-Frage

Das „tagesthema“ ist der interne Flurfunk der taz. Manche nennen ihn auch Störsender. Aber wenn es um Essenmarken geht, ist das schließlich existenziell. Ein Exklusiv-Bericht aus den taz-Innereien

von HEIDE OESTREICH

taz-MitarbeiterInnen sind unfreundlich kurz angebunden am Telefon und haben nie Zeit. Aus gutem Grund: Ein Einblick in das „tagesthema“, die interne Mailingliste, an die alle in- und ausländischen tazlerInnen angeschlossen sind, enthüllt, warum das Dasein in dieser Zeitung so aufreibend ist. Heute etwa geht es um: die Essenmarken.

Sie werden quartalsweise ausgegeben und subventionieren den Berliner taz-MitarbeiterInnen mit dem Wert von 5,80 DM/ 2,96 ein halbes Mittagessen im Restaurant „Sale e Tabacchi“ im Erdgeschoss. Die Auswahl enthält in den meisten Fällen Menü 1: Nudeln und Menü 2: Nudeln – unter verschiedenen italienischen Tarnnamen, versteht sich.

Das muss man nicht jeden Tag haben. Am 6.12.01 um 12.57 Uhr verkündet die Geschäftsführung daher im „tagesthema“: „Betriebsrat und Geschäftsführung haben vereinbart: taz-MitarbeiterInnen können ihren Anspruch auf Essenmarken ab Januar 2002 auch in Form einer monatlichen Zulage zum Bruttogehalt in Höhe von 39 Euro erhalten.“

Wohlwollendes Schweigen im „tagesthema“ bis abends um 18.28 Uhr. Um die Zeit nämlich wittert der stellvertretende Chefredakteur, dass es sich hier um eine populäre Maßnahme handeln könnte. Die Chance also, das durch ständiges Chefredaktions-Bashing im „tagesthema“ leicht ramponierte Image aufzubessern. Er veröffentlicht die frohe Botschaft ein zweites Mal, mit dem Zusatz: „zur erklärung: ich wollte einfach auch mal was ins tagesthema stellen, was mir nicht sofort heftigen widerspruch von interessierter seite bringt. bin mal gespannt, ob es gelingt.“

Es gelingt bis 18.55 Uhr. Dann kommt eine Mail von den Hamburger tazlern, die weder mit Essenmarken noch mit Geld bedacht werden: „Korrektur: Schreibe dreimal: ,Berliner MitarbeiterInnen‘, ,Berliner MitarbeiterInnen‘, ,Berliner MitarbeiterInnen‘.“

Das war nur der Anfang. Am nächsten Tag um 9.27 Uhr, die Auslandskorrespondentin: „Schön, dass die Berliner tazlerInnen Essensbeihilfe kriegen! Was hast du für die AuslandskorrespondentInnen vorgesehen? Oder sollen wir wieder leer ausgehen? Wie schon bei den Monatsfahrkarten, wie bei den Versicherungen, wie bei den Weihnachtsessen ... Seit neun (sic!) Jahren sind unsere Pauschalen nicht erhöht worden. Um keinen einzigen Pfennig!“ – Lange Zeit nichts als betretenes Schweigen im „tagesthema“.

Drei Tage hat der Wirtschaftsredakteur gebraucht, um nachzurechnen: am 9.12. um 13.51 Uhr klärt er auf: „Heute bekommen wir pro Kopf und Monat 20 Marken zu 5,80 DM. Macht 116 Mark. In bar bietet man uns nun 39 Euro oder 77,85 DM. Fehlen rund 38 Mark, was rund 35 Prozent weniger Essengeld macht (brutto!). Ein rekordverdächtiges Euro-Opfer. Darüber könnte man glatt berichten.“

14.36 Uhr: „wird zeit, dass das mal jemand macht. dieses haus bedankt sich bei hochloyalen mitarbeitern fortwährend durch beschiss. nicht nur bei den essenmarken. gruß, der bildungsredakteur“.

14.46 Uhr, der Berlinredakteur schaltet sich ein: „wahrscheinlich ist es so, dass bei 20 oder mehr prozent umtauschern der vereinbarte umsatz mit sale nicht eingehalten, der vertrag gekündigt wird und im jahr darauf gar keine essenmarken oder essenmarkengeld mehr ausgezahlt werden. sie versuchen es immer wieder ... “

10.12., 10.56 Uhr, die Auslandskorrespondentin: „So viel Niedertracht gegenüber ihren MitarbeiterInnen hätte ich der taz nicht zugetraut. Und natürlich hast du Recht: Lohnabbau sollte sich niemand gefallen lassen. Schon gar nicht bei der taz.“

11.40 Uhr, der Reporter: „Liebe KollegInnen, es liegt mir natürlich fern, euch im Arbeitskampf zu bremsen. Aber ich kenne niemanden, der 5,80 DM in bar für eine Essenmarke des Sale hinlegen würde. Sollte es jemanden geben, möge er/sie sich bitte umgehend bei mir melden.“

12.57 Uhr: Die Wirtschaftsredakteurin schlägt vor, Futures auf die Essenmarken auszugeben: „Ich lege hiermit fest, dass ich im August 100 Essenmarken zum Geschäftsführungspreis von vier Mark kaufen will – und damit mache ich garantiert ein Schnäppchen: Wenn das Angebot an Essenmarken verknappt wird, weil sich einige tazlerInnen lieber Geld statt Marken auszahlen lassen, wird der Preis pro Marke nämlich STEIGEN. Lieber Reporter, kannst du mir folgen? Jetzt ist vielleicht noch niemand bereit, 5,80 Mark pro Marke zu zahlen, aber warte mal ab, wie die Preise EXPLODIEREN werden, jawoll.“

13.08 Uhr: „Also ich kaufe dir die Marken garantiert nicht ab. Nicht mal für 20 Pfennige das Stück. Bei dem Essensangebot ... Die LeserInnenbriefredakteurin“.

13.12 Uhr: „pssst, wirtschaftsredakteurin, ich glaube, dass du mit dieser einschätzung falsch liegst. aber ich biete dir an, die futures zu hedgen. damit verringerst du dein risiko, und ich nehme als prämie ... eine essenmarke im august-wert von 3.50. grüße: der Meinungsredakteur“.

13.22 Uhr, die Sozialredakteurin: „Hi, Meinungsredakteur! Hedge Fonds, um die Essenmarken abzusichern! Da bin ich sehr dagegen. Ganze Volkswirtschaften wurden damit schon in die Krise gestürzt. Und wir als linke Tageszeitung jetzt auch noch. Lieber sollten wir die Essenmarken spenden. George Soros.“ – 13.26 Uhr: „Prima Idee, das ärgert dann auch Herrn Sale e Tabacchi, wenn die Obdachlosen, denen wir unsere Märkchen zukommen lassen, dort essen. Das ist genau das Publikum, das er liebt. Die LeserInnenbriefredakteurin“.

13.34 Uhr: „neinnein, george soros hatte völlig recht, den überhöhten pfundkurs zu stürzen. das ganze festkurs-gewese widerspiegelt nur den wunsch, soziale prozesse aus einer theorie heraus zu formen. das ist im kern stalinistisch, endet im gulag und gehört nicht in eine linke tageszeitung. sind wir etwa dafür 89 auf die straße gegangen? der meinungsredakteur“.

15.31 Uhr, der Wirtschaftskorrespondent: „Wo wir alle schon so genau sind: Die Essenmarken bekommen wir nur für rund zehneinhalb Monate (nämlich minus sechs Wochen Urlaub). Also muss man noch mal 12 Prozent in der Rechnung des Wirtschaftsredakteurs abziehen. Zweitens liegt der Tauschwert der Marken innerhalb der Redaktion tatsächlich unter 5,80 Mark. Aber der interne Verkaufserlös ist steuerfrei! Die 39 Euro von der Geschäftsführung müssten wir dagegen versteuern. Ich habe keine Lust, das durchzurechnen, aber vielleicht kann das ja unsere Geschäftsführung für uns erhellen.“

Der stellvertretende Chefredakteur, geschlagen: „Essenmarken preisgünstig abzugeben. Angebote unter 6 Euro pro Stück zwecklos.“

Ein Tag später – der Betriebsrat: „Liebe KollegInnen, kleine Richtigstellung seitens des Betriebsrats zum Thema Essenmarken: vereinbart haben wir nichts, aber auch gar nichts, es handelt sich hier nur um ein „Angebot“ der Geschäftsführung.“