Das Modell Kohl

Die Grünen fordern, was der Einheitskanzler 1998 vormachte – ein Arbeitsmarktprogramm zur Stimmenbeschaffung

von CHRISTIAN FÜLLER

Der dicke Konservative hat es damals fast perfekt gemacht. Helmut Kohl streute wenige Monate vor der Bundestagswahl 1998 noch einmal ABM-Stellen über das arbeitslose Land. Das wirkte schnell, weil die Arbeitslosenstatistik binnen weniger Monate freundlicher aussah. Und es kostete ihn nicht einmal übermäßig viel, denn die Laufzeit der Arbeitsbeschaffungsmaßnahme reichte nur bis kurz nach dem Wahltag.

Der dicke Grüne macht es gerade nicht ganz so perfekt. Auch Rezzo Schlauch streut wenige Monate vor der Wahl Stimmenbeschaffungsmaßnahmen übers grünenmüde Land. Nur sind seine Ideen zur Entlastung des Arbeitsmarkts irgendwie typisch für die Partei der riesengroßen Reformen: sehr komplex, sehr teuer und nur langfristig wirksam. Deswegen hat SPD-Fraktionschef Peter Struck die grüne Wahlkampfaktion namens „Offensive gegen die Arbeitslosigkeit – sieben Punkte für mehr Arbeit“ mürrisch abgewehrt. „Das wird nicht kommen.“

Es war ein handfester Streit zwischen den Koalitionspartnern, den das grüne Acht-Punkte-Programm gestern auslöste. Zumal der Grünen-Haushaltsexperte Oswald Metzger behauptet hatte, die SPD kümmere sich nicht um den Abbau der Arbeitslosigkeit. Darauf wurde Peter Struck rot – vor Wut. Eine „Unverschämtheit“ sei das grüne Programm.

Gespielt lässig propagierte Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) im vergangenen Halbjahr seine Wirtschaftspolitik der ruhigen Hand. Nun hat er gemerkt, dass die Jahreswende eine Wahrnehmungswende mit sich gebracht hat. Im Wahljahr wollen die Leute wissen, was die Regierung tut. Daher will Schröder am Montag seine Pläne zum so genannten Kombilohn bekannt geben. Dabei übernimmt der Bund die Zuschüsse zu den Sozialbeiträgen von Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern, die schlecht bezahlte Jobs annehmen. Das Problem von Schröder und der SPD: Das Kombilohnmodell mag in der Theorie gut sein – in der Praxis eines rheinland-pfälzischen Feldversuchs hat es kümmerliche 800 Jobs gebracht. Das ist ein bisschen wenig, um vier Millionen Arbeitslosen Tatkraft zu beweisen.

Die Unterschiede zwischen der sozialdemokratischen und der grünen Variante von Entschlossenheit sind immens: Die SPD-Pläne kosten bescheidene 20 Millionen Euro; für das grüne Programm wären satte 1,4 Milliarden Euro fällig. Die Grünen wollen 100.000 Jobs schaffen; die SPD kann nicht genau beziffern, was ihr Kombilohn bringt.

Die Grünen sind wieder in einer verzwickten Situation. Es ist nicht ihre Sache, Arbeitsbeschaffung so zu betreiben, wie es der Kanzler der Bosse vorhatte: über wirtschaftliches Wachstum. Die Ökopartei entnahm ihre Rezepte gegen die Arbeitslosigkeit von jeher der Sozialtherapie: Sie wollte die Erwerbslosen stets besser beraten, gründlich qualifizieren, auf Nebenarbeitsmärkten üben lassen und sie dann behutsam in den Arbeitsmarkt einfädeln. Strukturelle Reform eben.

Doch acht Monate vor der Wahl bekommt der jahrhundertreformerische Impetus einen faden propagandistischen Beigeschmack. Das grüne Sofortprogramm zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit sendet allzu offenkundige Signale an bestimmte Wählergruppen aus. Geringverdiener werden mit einer Entbürokratisierung der 325-Euro-Jobs geködert. Eltern mit der Abzugsfähigkeit von Kinderbetreuungskosten. Finanzschwache Kommunen mit einem milliardenschweren Darlehensprogramm der Kreditanstalt für Wiederaufbau. Die Grünen haben sogar die Schwarzarbeiter entdeckt: Die sollen in echte Jobs eintreten, indem die Bauabzugssteuer vereinfacht wird.

Eine paradoxe Hoffnung bleibt den Grünen: Die Perfektion seines Stimmenbeschaffungsprogramms schützte Helmut Kohl nicht vor der Abwahl. Vielleicht nützt es den Grünen ja, dass ihr Manöver so durchsichtig ist.