Sonnyboy meets Technogirl

Stephan Kimmig befördert „Viel Lärm um nichts“ in die Partyszene von heute  ■ Von Karin Liebe

Die Liebe ist ein seltsames Spiel. Mann sieht Frau und verliebt sich in sie, ohne ein einziges Wort mit ihr zu reden. Soll es geben. Auch bei Claudio und Hero in Shakes-peares Komödie Viel Lärm um nichts zündet es beim ersten Blick. Dass aber Claudio seine Angebettne sogleich heiraten will und Hero freudig zustimmt, lässt einen doch am Verstand der Liebenden zweifeln. Bei Stephan Kimmigs Inszenierung am Thalia Theater wird die Ausgangssituation vollends ins Groteske gezogen. Sonnyboy Claudio (Andreas Pietschmann) im Techno-T-Shirt mit blonder Wuschelfrisur à la Brad Pitt, und Partygirl Hero (Susanne Wolff) in pinkfarbener Schlaghose und barbie-blonder Perücke driften haltlos zwischen Ekstase, Gruppensex und Chill-out hin und her. Und die zwei wollen gleich heiraten? Viel Lärm um nichts ist eine Komödie, wenn man so will: eine Farce über die Spaßgesellschaft.

Dass Kimmig sie ganz ins Heute katapultiert, bietet sich an. Er mixt den sehr frei und zeitgemäß von Frank Günther übersetzten Text mit Auszügen aus Rainald Goetz' Partysatire Jeff Koons. Von Shakes-peares Sprache bleibt in diesem Stück nicht viel übrig: „Scheiße“, „Mist“, „geil“ und „ficken“ gehören zum Grundvokabular. DochHandlungsstränge und Personal belässt er weitgehend beim Alten. Und das erzeugt eine seltsame Diskrepanz. Shakespeares augenzwinkernde Demaskierung einer dekadenten Gesellschaft wird bei Kimmig zur lustigen Nummernrevue.

Ein Paar, Claudio und Hero, verliebt sich und wird durch Intrigen der Partygesellschaft auseinander gebracht. Ein anderes Paar, Benedikt (Peter Jordan) und Beatrice (Anna Steffens), hasst sich und wird durch Vermittlung der Partygesellschaft zusammengebracht. Kimmig reiht dabei Slapstick an Slapstick. Manche sind lustig, manche gehen daneben, andere langweilen. Es wird viel getanzt, gesungen, persifliert. Von allem ein bisschen zu viel. Ständig läuft auf der von einer glitzernden Discokugel beleuchteten Bühne (Katja Haß) Musik. Mal aus der Konserve, mal live als Barmusik. Ein abgehalfterter Musiker namens „Magic“ schrammt auf der E-Gitarre herum. Was er hier zu suchen hat, bleibt ebenso im Dunkeln wie die Bedeutung von Rod Stewarts I am Sailing. Schlüsselzieher Don Pedro (Peter Kurth) und eine Figur namens „Agent Crossfade“ gebärden sich mit schwarzer Sonnenbrille und Machogehabe wie in einer billigen Krimiserie aus den Sechzigern. Sie verhaften und verhören die zwei Handlanger von Don Pedros Bruders Don Juan, des Intimfeinds Claudios, der ihn glauben macht, Hero würde ihn noch vor der Hochzeitsnacht mit einem anderen betrügen. Da blitzt für kurze Zeit so etwas wie Ernst auf, und die Farce entblößt ihre dunkle Kehrseite. Der sehr blonde und sehr dumme Claudio beschimpft die sehr blonde und sehr dumme Hero vor dem Traualtar als billige Nutte und verweigert ihr sein Jawort. Der bislang gütige Brautvater Leonato (Christoph Bantzer) entpuppt sich als gewalttätiger Patriarch. Er nimmt seine Tochter in den Schwitzkasten und erklärt sie flugs für tot. Sonnyboy Claudio zeigt sein wahres Gesicht und lässt seine Braut fallen. Nur Hero weiß nicht, wie ihr geschieht und tut so, als wäre alles ein schlechter Scherz. Der Scherz nimmt kein Ende: Als endlich Heros Unschuld bewiesen wird, muss Claudio die maskenhafte Untote doch noch ehelichen. Per Vampirkuss beißt sie ihm eine blutige Nase.

Es gibt auch Perlen im Klamauksalat. Aber die muss man suchen. Die Liebesgeschichte zwischen Benedikt und Beatrice gehört dazu, ihre ängstlich zitternde Annäherung zwischen Anziehung, scheuer Berührung, Flucht und Ausbrüchen von Leidenschaft. Was allerdings die Partyszenen betrifft, die zwischen gelangweiltem Herumsitzen in Grüppchen und phasenweisem Ausflippen in simulierten Sexorgien hin- und herswitchen: Lustfaktor gleich null.

Nächste Vorstellungen: 16. + 17. Januar , 20 Uhr, Thalia