Wenn der Helm keine Hitze verträgt

Schlechte Ausrüstung, fehlende Konzepte: Ob der Hamburger Katastrophenschutz bei großen Unglücken helfen kann, ist fraglich. Für die Innenbehörde ist das kein Thema  ■ Von Marco Carini

Dieter Farrenkopf zeigt auf etwas, das an eine eiförmige Tupperdose erinnert, die auf einer glühenden Herdplatte geparkt wurde. Die kunststoffhaltige Oberfläche wirft fette Blasen. „Unser neuer Helm“, kommentiert der Chef der Hamburger Berufsfeuerwehr: „Einmal im Feuer gewesen.“ Dann berichtet er, wie „irgendwelche Techniker“ eine neue europäische Norm für Feuerwehrhelme entwickelt haben. Wie sie beschlossen, dass Metallhelme wegen ihrer elektrischen Leitfähigkeit nicht mehr Stand der Technik sein könnten. „Sie haben an vieles gedacht, aber eines vergessen“, holt Farrenkopf zur Pointe aus: „dass Feuerwehrhelme feuerfest sein sollten.“ Nun sitzt Farrenkopf auf den neuen Helmen und befürchtet, „dass ich demnächst Leute habe, denen die Haare wegbrennen“. Neu erworbene Aluminiumhelme darf der besorgte Chef seinen Mitarbeitern nicht mehr aufsetzen. Kommt ein Feuerwehrmann beim Einsatz damit zu Schaden, zahlen die Unfallversicherungsträger nicht.

Wenn Farrenkopf erzählt, ist er kaum zu bremsen. Er weiß über Schläuche zu berichten, die platzen oder regelmäßig aus der Kupplung gehen. Über Löschfahrzeuge ohne Wassertank, die an Einsatzorten ohne externe Wasserzufuhr auf dem Trockenen sitzen. Über ABC-Spürfahrzeuge, die zwar über modernste Messtechniken verfügen, deren Analyseergebnisse aber nicht an die Einsatzzentrale übertragen werden können.

Die offizielle Darstellung spricht eine andere Sprache: „Hamburger Katastrophenschutz - fit für den Ernstfall“ lautet die Überschrift einer Pressemitteilung der Innenbehörde vom August 2001. Stolz wird auf das Lagezentrum des Zentralen Katastrophendienststabes in der Innenbehörde verwiesen, das bis unters Dach mit mo-dernster Kommunikationstechnik vollgestopft ist. Von hier aus sollen im Katastrophenfall bis zu 14.000 zur Verfügung stehende Helfer von Polizei, Feuerwehr und den verschiedenen Hilfsorganisationen zielgenau koordiniert werden. Auf dem digitalen Stadtplan wird der Ort des Geschehens zur besseren „Lagedarstellung“ in die Mitte gerückt. Dazu laufen die Bilder aus dem über dem Katastrophenherd kreisenden Polizeihubschrauber live auf den überdimensionalen Flachbildschirm.

Nicht erst, seit die Bedrohung durch terroristische Anschläge zugenommen hat, existieren eine Unzahl von Gefahren, bei denen der Katastrophenschutz gefordert wäre: Über Hamburgs Straßen, Schienen und Wasserwege bewegen sich jedes Jahr tausende Gefahrguttransporte. Vom Chemietank bis zum Atommüll ist alles dabei. Auf dem citynahen Fuhlsbütteler Flughafen starten und landen Tag für Tag 460 Maschinen. In Dutzenden von privaten und öffentlichen Gentechnik-Sicherheitslaboren wird mit gefährlichen Krankheitserregern experimentiert. Eingerahmt wird die Hansestadt von vier Atomreaktoren - darunter die Uralt-Meiler Brunsbüttel und Stade.

„Wir können weder Unfälle verhindern noch auf jeden einzelnen Fall vorbereitet sein“, weiß der oberste Katastrophenschützer der Hamburger Innenbehörde, Wolfgang Brandt: „Wir können nur Ordnung in das Chaos bringen.“ Dass das gelingt, muss bezweifelt werden. Im gesamten Bundesgebiet wurde seit dem Mauerfall im Zivilschutz drastisch gespart. Auch die Hansestadt ist deshalb auf den Fall der Fälle schlecht vorbereitet: Es fehlt an allem.

Schon, ob die HamburgerInnen von einer drohenden Katastrophe überhaupt rechtzeitig erfahren, ist fraglich. Noch vor ein paar Jahren waren über das gesamte Stadtgebiet 1050 Warnsirenen verteilt. Inzwischen ist ihre Zahl auf 285 – meist uralte - Gefahrenmelder geschrumpft, die fast ausschließlich im Bereich sturmflutgefährdeter Gebiete stationiert sind. Anderenorts sollen es mobile Sirenen richten, die aufs Autodach montiert werden. „Das dauert natürlich länger“, räumt Branddirektor Paul Middendorf ein. Im Radio laufen unterdessen Warndurchsagen - ausschließlich in deutscher Sprache. Dabei versteht gerade in den hafennahen Wohngebieten wie Wil-helmsburg ein Großteil der EinwohnerInnen die Landessprache kaum. Brandt: „Wir setzen darauf, dass die Menschen von ihren Nachbarn informiert werden.“

Auch die Versorgung von Katastrophenopfern weist erhebliche Lücken auf. „Wir können bis zu 230 Verletzte gleichzeitig transportieren, aber es gibt ein Nadelöhr bei den Krankenhäusern“, weiß Brandt. Bernd Mewes, Mitarbeiter der Hamburger Gesundheitsbehörde, bestätigt: „Unsere Notfallkrankenhäuser sind nur für Unglücke herkömmlichen Ausmaßes gerüstet“. Noch schlechter sieht es bei den Schutzräumen aus. Zwar verfügt die Hansestadt über mehr als 70 Kriegsbunker mit vielen tausend Plätzen. Nur würden sie im Krisenfall verschlossen bleiben. „Sie sind nicht einsatzfähig, weil die Mittel für den Unterhalt zurückgefahren wurden“, erklärt Brandt.

Konzepte gegen von Menschenhand geplante Katastrophen gibt es gar nicht. Als besonders anschlagsgefährdet gelten dabei die Chemiebetriebe, die als „Anlagen mit erweiterten Pflichten“ eingestuft werden. Ihre Überwachung regelt haarklein die deutsche Störfallverordnung. Terrorangriffe sind darin nicht vorgesehen. Für Hamburg ist diese Gefahr besonders relevant, weil sich hier die bundesweit größte Dichte an „Anlagen mit erweiterten Pflichten“ findet: 93 im Stadtgebiet, verteilt auf 37 Betriebe. Die hohe Konzentration erklärt sich dadurch, dass im Hafengebiet rund ein Dutzend Umschlagsunternehmen gefährliche Chemikalien lagern und transportieren. Zudem ballen sich in diesem Bereich Unternehmen der Petrochemie. „Von solchen Anlagen geht ein größeres Risiko aus. als von reinen Chemiebetrieben“, weiß Manfred Krautter, Chemieingenieur bei Greenpeace.

Gegen Anschläge mit biologischen Waffen ist Hamburg dagegen relativ gut gerüstet. Die Stadt verfügt über einen modernen mobilen Spür- und Messcontainer. Mit dem Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin steht eine der bundesweit führenden Fachkliniken zur Diagnose und Behandlung exotischer Krankheiten bereit. Hier können bis zu 20 Patienten mit hochinfektiösen Erkrankungen versorgt werden. Deshalb gibt sich Oberbrandrat Norbert Kusch, Chef der Umweltwache in Wilhelmsburg, optimistisch: „Eine durch biologische Kampfstoffe ausgelöste Epidemie können wir verhindern.“ Voraussetzung sei allerdings, „dass nicht mehr als 40 bis 50 Menschen gleichzeitig betroffen sind“.