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Vom Würfel zum Club der polnischen Versager
: Alles unter Kontrolle

Draußen erschweren Nässe, Kälte und Dunkelheit das Fortkommen. Drinnen ist es kaum besser. Eine labile Gemütsverfassung bestimmt das Dasein. Die Unsicherheiten, die allein mit dem Umstand einer neuen Regierung über die Bevölkerung dieser Stadt hereinbrechen, sind enorm. Bisher lässt sich die allgemeine Befindlichkeit der Menschen zwar noch als eine Art gespannter Schwebezustand beschreiben. Aber niemand kann mit Gewissheit sagen, wohin das alles führen wird. Die Rezession nimmt ihren Lauf, im zunehmend aggressiven Verhalten der Umgebung wird das spürbar.

Vorgestern sah man einen Mann in der U-Bahn, der seine Begleiterin anherrschte: „Dauernd haste Schnupfen!“ Er hörte mit dem Schreien überhaupt nicht mehr auf, die Frau hatte ihr Gesicht längst weggewendet. Erst als sie ihm vier Stationen später kräftig in die Seite hieb, gab der Mann für einen Moment Ruhe, am Bahnhof Hermannplatz ist man dann ausgestiegen.

Auch die Partysituation bei den Galerie-Berlintokyo-Betreibern am Freitagabend brachte zunächst keine Aussicht auf Besserung der prekären Stimmungslage. Die Veranstaltung im ehemaligen Jugendfreizeitheim „Würfel“ zeichnete sich zunächst vor allem durch organisierte Fehlplanung aus. Sympathische Besucher warteten draußen im Schnee und wurden von den Türstehern aus Platzmangel nicht eingelassen, während drinnen Menschen umherstanden, die ihren Ausgehtipp für diesen Abend von kompetenten Nachtlebenexperten wie Radio Eins und dem Tagesspiegel erhalten hatten. Leute, von denen es fast sicher scheint, dass sie bei einem Chef bereits erfolgreich um eine Gehaltserhöhung vorgesprochen haben; die in drei Jahren erzählen werden, die Galerie Berlintokyo sei Anfang der 90er ein toller Club am Gendarmenmarkt gewesen; die sich statt der elektronischen Musik lieber ein bisschen mehr von Jamiroquai wünschen usw. – kurz: „Leute, die man in seiner Freizeit einfach nie sehen will“, wie es einer im Publikum bündig zusammenfasste.

Mit solcherlei lächerlichen Differenzkriterien lästerte man sich ziemlich lange und blödsinnig von Getränk zu Getränk. Und erst nachher, als große Personengruppen gegangen waren, wurde der Abend doch noch zu einem jener Ereignisse, an die man sich später als einer dieser seltenen Momente gelungenen Nachtlebens erinnern wird. Ein vorsichtige Wendung zum Guten könnte sich damit andeuten.

Auch andere Menschen berichten von positiven Geschehnissen. Heute rief Piotr vom „Bund der polnischen Versager e. V.“ an. Er erzählte von seinem anstehenden Fernsehauftritt bei „Boulevard Bio“. Das Vorgespräch mit der zuständigen Redakteurin sei erfolgreich verlaufen. Nachdem eine Striptease-Performance vor einigen Wochen im Versager-Büro in der Torstraße ziemlich aus dem Ruder geraten war, gehe es dort momentan etwas ruhiger zu, sagte Piotr, und man habe beim Besuch der Redakteurin einen halbwegs seriösen Eindruck gemacht. Er und seine Vereinskollegen werden nun also in der Talkshow am Dienstagabend mit Uschi Glas und Britney Spears eine von der Redakteurin ausgedachte Schnittmenge bilden. Eine unfreiwillige Vereinnahmung durch den Medienbetrieb befürchtet Pjotr dabei nicht: „Wir haben alles unter Kontrolle.“ Er versprach heiter, viele Autogramme mitzubringen und legte auf. Es sind Aussagen wie diese, die Hoffnung bringen könnten. Überhaupt kommen derzeit schöne Nachrichten aus dem Telefon. Am besten gefiel dieser Tage ein auf dem Anrufbeantworter unversehens wiedergefundener Satz: „Kommst du mit in den Tierpark, Kekse kaufen?“

KIRSTEN KÜPPERS