Auf dem Teppich bleiben ist alles

Hinterm Mond war damals: Element of Crime spielte am Freitag in der Treptower Arena auf – ein Konzert, das zeigt, wie sehr die Mannen rund um Sven Regener über den Status einer Hauskapelle für die Beck’s-Boheme hinaus ist

Mag gut sein, dass in den einschlägigen Lokalen Kreuzbergs der Bierausschank zu Beginn des Wochenendes etwas schleppend anlief. Dafür schäumte es im angrenzenden Treptow prächtig. Schließlich ist der dort gelegene Veranstaltungsort Arena groß genug, um so mancher Tresenbesatzung kurzfristig Asyl zu bieten; viele von ihnen werden ihre Stammplätze in der Wiener und Oranienstraße gegen einen Stehplatz in der flughangargroßen Halle ein, zwei Kilometer weiter südöstlich eingetauscht haben.

Eigentlich hätte man auch einen Berichterstatter in die Markthalle in der Pücklerstraße schicken sollen – die Kreuzberger Zentrallokalität wird in Sven Regeners Roman „Herr Lehmann“ so eingehend beschrieben, dass eine Komplettexkursion ihres Umfeldes in die Arena schon einleuchten würde, zumindest wenn wie Freitag Regeners Band Element of Crime dort aufspielt. In zehn Jahren wird der kleine Tisch neben der Küchentür, wo die Hauptfigur des Buchs zum ersten Mal auf die schöne Köchin trifft, sowieso auf Herr-Lehmann-Gedächtnistisch getauft werden. Darauf sowieso jede Wette.

„Herr Lehmann“ hin, die neue CD „Romantik“ her: Element of Crime ist, so sieht’s aus, im Moment ein ziemlich großes Ding. Über den Status einer Hauskapelle für die Beck’s-Boheme nebst, Leander Haussmann sei Dank, Verwendung in der Theaterszenerie ist man inzwischen hinaus. Also waren natürlich nicht nur Kreuzberger unter den, na, 4.000, 5.000 Zuschauern in der Arena. Aber eine Demonstration eines Kreuberger Lebensgefühl im weiteren Sinn war es eben doch. Die Trendbeflissenen waren woanders; zum beträchtlichen Teil hatte das Publikum durchaus etwas Sebstgedrehtes. In einer seiner spärlichen Moderationen sprach Sven Regener von einem möglicherweise ins Haus stehenden 80er-Revival. Und er fügte an: „Wegen uns kann der Scheiß kommen, wir sind vorbereitet.“ Das Publikum ist es stets gewesen.

Wobei man aber gleich hinzufügen muss, dass neben den lockeren Kneipenverbünden eher Kreuzberg-untypisch auch Pärchen stark vertreten waren. Draußen mögen die Zeiten wieder kälter werden (Schneefall, Rezession, Stoiber), drinnen gab es an einer funktionierenden Sozialstruktur wenig Anlass zum Zweifel. Hier wurden keine neuen Abenteuer gesucht, hier wurden bestehende Bande bestärkt. Unsere Recherchen im Vorfeld hatten eh ergeben, dass stets die Frauen die Kaufentscheidung für die Eintrittskarte fällten, die zugehörigen Männer gingen dann eben mit; eine Paardynamik, die man sich mit der ausgefeilt melancholischen Behandlung des Liebesthemas auf der aktuellen CD erklären kann. Bei Liedern, in denen die Morgensonne die Augenfarbe der Liebsten trägt, ist eine Menge Zusammengehörigkeitsgefühl abzuholen.

Die Art und Weise, wie Sven Regener und seine Mannen die heikle Sache angingen, passt nun allerdings wieder ins Kreuzbergsubthema dieses Textes. Nur nicht von den vielen Leuten, der Aufregung drumherum und der Größe der Halle irritieren lassen. Freundlich sein, aber spröde bleiben. Ball flach halten. Das eigene Ding durchziehen. Solche Parolen müssen sich Sven Regener, Jakob Ilja, Christian Hartje, Richard Pappik und David Young gegenseitig ins Ohr geflüstert haben. Verständlich: Hinterm Mond war zwar damals. Aber nur weil fünfmal so viele Leute wie sonst zu einem Konzert kommen, ist das noch lange kein Grund, plötzlich einen auf Popstar zu machen. Schließlich will man sich nicht die Gelegenheit verbauen, mit den Kumpels hinterher mittendrin in Kreuzberg ein Bier zu nehmen, und zwar schonungslos und ohne Hintersinn, wie es in einem Song heißt.

Während das Cover der neuen CD eher auf einen Willen zur Selbststilisierung schließen ließ, präsentierte sich Element of Crime in der Arena also als eine Band, die sich eher den Grundtatsachen des Musikerlebens und den Basics einer Konzertsituation verpflichtet fühlt: Man steht halt auf der Bühne herum und bedient, so gut man es vermag, seine Instrumente. Ein Konzept, das am Freitag unbedingt mit Wohlwollen aufgenommen wurde. Wer Bühnenshow oder Lichteffekte wollte, war sowieso auf der falschen Veranstaltung.

Von den Notizen, die ich während des Konzerts in mein Büchlein gekritzelt habe, kann ich sogar noch ein paar lesen. In Bezug auf Sven Regener steht da: „Heisere Stimme“ (mit Ausrufezeichen) und „Spielt überraschend forsch Trompete.“ Und die letzten Worte, die er nach vier Zugaben dem Mikrofon anvertraute, habe ich auch notiert: „So ist das. Vielen Dank.“ Texte schreiben kann er, singen kann er. Aber wirklich perfekt beherrscht er die Kunst, auf dem Teppich zu bleiben. DIRK KNIPPHALS