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Gelegentlich gewisser Stallgeruch

„Eine Biosubstanz, das müssen Sie sehen“: Die Grüne Woche will diesmal unbedingt Event sein, dabei ist sie das schon längst. Was sieht man in diesem „Ereignisreich“ (Grüne-Woche-Marketing), wenn man sich vornimmt, „so viel, wie geht“ zu sehen?

von JANA SITTNICK

Frettchen. Man kommt nicht dran vorbei. Gleich am Eingang der Halle steht der drei mal zwei Meter große Verschlag, der wie ein Wohnzimmer aussieht, inklusive Schondecke auf dem Sofa. In dem Zimmerchen bewegen sich zwei Menschen und vier Frettchen, drumherum stehen ungefähr zehn Besucher und schauen angeekelt-amüsiert zu. An den Wänden kleben Zettel, die dem unverstandenen Tier eine Stimme geben. „Was man uns vorwirft: Wir stinken und beißen.“

Klar, dem ist nicht so. Der „Frettchen Club Berlin e.V.“ sorgt dafür, dass die Besucher der Grünen Woche die Wahrheit erfahren. „Frettchen haben einen starken Eigengeruch“, sagt Gilbert Brandt, „aber das hat ein nasser Hund ja auch.“ Stubenrein und zahm könnten die kleinen Raubtiere und Fleischfresser werden, bei richtiger Behandlung. Ein Katzenklo wäre angebracht. Seine junge dunkelhaarige Vereinskollegin läuft derweil quiekend einem schlapp gewordenen Tier aus der Familie der Marder hinterher, zwickt es in den Hintern. Dann greift sie unter die Sofadecke und zieht ein Albinofrettchen hervor. Mit dem Tier auf dem Arm geht sie ganz nah an die Absperrung heran, und hält es zum Streicheln hin. Liebe erfüllt den Raum.

Die Grüne Woche nennt sich im Untertitel erstmalig „Das Ereignisreich“. Der „Trend zum Event“, wie die Werbeleute geschickt reimen, hat nun auch die Veranstalter der weltweit größten Messe für „Ernährungswirtschaft, Landwirtschaft und Gartenbau“, erfasst. Die Grüne Woche ist mit etlichen Sonderschauen wie „Heimtier und Pflanze“ aufgepuffert, mit „Erlebnisbereichen“ – Spielbauernhöfen, Messekindergarten, arkadischen Blumenhallen und künstlichen Seen – aufgeschönt, durch Künstler geadelt und um eine trendgerechte „Eventhalle“ erweitert. Für die Jugend. Da können Teenager bei McDonald’s Reifen auf Plastiksäulen werfen und Überraschungsburger gewinnen. Ernährungstabellen gibt es dazu, die zeigen an, wieviel Kalorien, Fette und Eiweiß in dem Junkfood stecken, und wie okay es ist, das zu essen.

Beim Stand von Nestlé kann man Ratespiele um ungesättigte Fettsäuren spielen, und beim „Milka Adventure Truck“ zwischen Skisimulator und violetter Kletterwand wählen. Zur Belohnung gibt’s immer was, auch für die Verlierer. So gesunde Sachen wie Gummibärchen oder Schokolade.

Die Grüne Woche will diesmal unbedingt Event sein, dabei ist sie das schon längst. Allein ihre Größe – auf einer Bruttohallenfläche von 114.000 Quadratmetern, die sich auf 26 Hallen verteilt, präsentieren sich 1614 Aussteller aus 56 Ländern – macht sie zur Monstermesse. Sie gehört zu der Sorte Großveranstaltungen, bei denen man sich nach kurzer Zeit klein und schwach fühlt. Selbst mit gutem Willen und drei Litern Trinkwasser im Gepäck kann man dem selbst gestellten Auftrag, „so viel, wie geht“ sehen zu wollen, nicht erfüllen.

Es geht eben nicht viel. Nach zwei Hallen ist spätestens Schluss, dann trösten auch die knappen Häppchen nicht mehr. Man nimmt nur noch Spots wahr. Lethargie stellt sich ein oder Aggression. Mütter rütteln an ihren erschreckend blassen, quengelnden Kindern, Paare streiten sich. Allen geht die Messe bald auf den Keks, aber schließlich muss man die elf Euro Eintritt ablaufen.

Der Euphorievorrat der Menschen, die am Sonnabendvormittag an der S-Bahnstation Eichkamp/Messe aussteigen, reicht für den flotten Schritt bis zum Eingang Süd. Auf dem Weg riecht es in kurzen Abständen nach Brot, nach Fisch und nach Chlor. An den Kassenhäusern mit sechs Kassenschaltern verteilen sich die Besucher. Es ist trübe und es schneit. Die Leute gehen schnell in die Hallen, ins Warme.

Drinnen schlägt einem Stallgeruch entgegen. Blaue Hinweisschilder mit weißen Buchstaben – sie sehen aus wie bei der Bahn – zeigen den Weg zur nächsten Halle. Die Menschen formieren sich schnell zum Besucherstrom, der sich gern auf der ganzen Breite der Wege in eine Richtung fortwälzt. Wer in die Gegenrichtung will, hat es schwer.

Viele Besucher sind dick, tragen Anoraks und darunter maschinengestrickte Pullover. Viele sprechen auswärtige Dialekte, Sächsisch, Schwäbisch, Pfälzisch, und treten in Gruppen auf. Manchmal laufen auch welche im Entengang hintereinander her, um sich nicht zu verlieren auf der großen Messe, in der großen fremden Stadt. An den Krombacher-, Paulaner-, und Wernesgrüner-Bierständen feiern rotgesichtige Anorakfraktionen ihre Herkunft, grölen die Namen ihrer Käffer.

Ganz vorn, in den ersten beiden Hallen, siedelt „Ernährungswirtschaft“. Die biologisch-dynamische Landwirtschaft zieht, mit Unterstützung von Renate Künast, ganz groß auf, mit der Sonderschau „BioMarkt“. Am Demeter-Landbrot-Stand gibt es dünnen Öko-Kaffee für 1,50 Euro. Die blonde Verkäuferin berechnet noch zwei Euro Tassenpfand zusätzlich. Sie spricht mit lauter Erzieherinnenstimme. Ein älterer Mann, der auch Kuchen essen will, sagt, das mit dem Pfand sei nicht nötig, er wolle ja dableiben und gleich austrinken. Die Verkäuferin schrillt ihn an, das müsse trotzdem sein, weil sie niemanden zum Tassenabräumen habe, und sie könne sich nicht zerteilen, und welchen Kuchen er jetzt haben möchte. Der Mann bescheidet sich mit dem Kaffee.

Regina Richter bietet Bananenchutney an, sagt, es sei das einzige in Deutschland und gut zu Reis. Die Betreiberin einer „Öko-Wellness-Farm“ in Mecklenburg-Vorpommern schwört auf die ayurvedische Küche, ihr Partner Stefan Tomek hingegen auf den „Sonnengruß“. Die Yogaübung praktiziere er seit 15 Jahren. Mittlerweile könne er den Flow spüren, den bewusst angeregten Energiefluss in seinem Körper. „Ich brauch nur so zu machen“, sagt der Mittfünfziger, und zwirbelt mit den Fingerspitzen über seinem Hinterkopf, „und dann spüre ich es, hm, jetzt auch wieder.“ Zum Eventcharakter der Messe befragt, sagt Tomek jovial, er mache nachher, auf der Bühne der Bio-Halle, auch ein Event. „Dann zeige ich mein Doping Naturale, eine Biosubstanz, das müssen Sie sehen.“

Auf der Showbühne der Eventhalle lässt Viva-Moderator Mola Adebisi eine Plastikkuh abmelken, auf Zeit. Er kann seine Unlust über den Job kaum verbergen. „Das war ja wohl nichts“, sagt er genervt zu einem Jungen, der nur ein paar Tropfen aus dem Kunsteuter herauspressen konnte, „so, die nächste,“, und winkt ein pummeliges Mädchen heran, „jetzt will ich was sehen.“ Später bringt die „Band ohne Namen“ ihre Playback-Show. Und RTL ist natürlich auch da. Jens findet das öde. „Aber wenn die keine anderen kriegen“, sagt er und zuckt die ausgepolsterten Schultern. Jens ist mit seinem Verein, den „Berlin Adler“ auf Nachwuchssuche vor Ort. Der 18-Jährige spielt „American Football“. Das Event in den Messehallen ist ihm egal.

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