Zyperns Verschwundene

Griechische und türkische Zyprioten wollen den Verbleib von mehr als 2.000 Vermissten klären. Dies zeigt das positive Klima vor den Gipfelgesprächen über die Zukunft der Insel

NIKOSIA taz ■ Wenige Tage vor Beginn der Zypern-Gespräche um die zukünftige Verfassung haben Inselgriechen und -türken wichtige Fortschritte bei der Klärung des Schicksals von über 2.000 Vermissten erzielt. Der Vertreter der Zyperngriechen, Glafkos Klerides, und sein zyperntürkischer Gegenspieler Rauf Denktasch einigten sich nach zwei Treffen in der UN-kontrollierten Pufferzone am Freitagabend darauf, heute entsprechende Dokumente auszutauschen. Darin sollen Gräberfelder ausgewiesen werden, eine Voraussetzung für eine Exhumierung und DNA-Tests zur Identifikation der Toten.

„Wir haben jetzt die Chance, das Problem endgültig zu lösen“, sagte Denktasch nach dem Ende der Begegnung. Auch der Regierungssprecher der zyperngriechischen Seite, Michalis Papapetrou, zeigte sich optimistisch. Es gehe vor allem um die Lösung praktischer Probleme, bevor eine endgültige Übereinkunft geschlossen werden könne.

Seit den ethnischen Auseinandersetzungen 1963/64 und der Invasion türkischer Truppen 1974 gelten über 2.000 Personen als vermisst, davon rund 1.480 Griechen und 800 Türken – angesichts einer Einwohnerzahl von etwa 900.000 auf der gesamten Insel eine sehr hohe Zahl. Unter den Verschwundenen befinden sich viele Zivilisten, darunter Frauen und Kinder.

Weil sich die türkische Seite jahrelang weigerte, das Problem zur Kenntnis zu nehmen, avancierte die Vermisstenfrage zum Politikum. Nationalistische zyperngriechische Politiker machten den Angehörigen mit unrealistischen Vermutungen Hoffnung, einige der Verschwundenen könnten noch am Leben sein. Eine 1997 getroffene Vereinbarung zur Suche nach Grabstellen hielt nur sechs Monate, bevor sie von zyperntürkischer Seite gekündigt wurde. Dahinter stand offenbar die türkische Armee, die kein Interesse an Autopsien hatte, auf deren Grundlage sie möglicherweise der Folter hätte angeklagt werden können.

Die Fortschritte in der Vermisstenfrage gelten als wichtige vertrauensbildende Maßnahme für das Gipfeltreffen am kommenden Mittwoch, mit dem die Verhandlungen über eine künftige Verfassung der Insel eingeläutet werden. Dabei stehen beide Seiten unter erheblichem Druck. Die EU hat der griechisch dominierten Republik Zypern faktisch die Mitgliedschaft schon versprochen, zumal andernfalls Griechenland mit einem Veto der Osterweiterung droht. Doch sollte es bis dahin nicht zu einer Einigung mit den Zyperntürken im Norden kommen, könnten die Hoffungen auf eine Wiedervereinigung in weite Ferne rücken. Zwar würde das international nicht anerkannte Nordzypern dann formal und gegen dessen Willen EU-Mitglied. Brüssel will jedoch sicherstellen, dass die Republik Zypern ihre EU-Mitgliedschaft nicht dazu nutzen kann, die Gemeinschaft beständig zur Verurteilung der Türkei zu nötigen.

Unter den verarmten Zyperntürken wächst angesichts einer schweren Wirtschaftskrise der Druck auf die eigene Regierung, die bislang abgelehnte EU-Mitgliedschaft anzustreben. Die Lösung des Zypernkonflikts wäre zudem eine Voraussetzung für die Mitgliedschaft der Türkei im Brüsseler Club. Schließlich widerspricht die Anwesenheit türkischer Truppen im Norden sämtlichen UN-Resolutionen.

Das gute persönliche Klima zwischen den beiden über 80-jährigen Politveteranen Klerides und Denktasch sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass es bis zu einem Abkommen noch ein weiter Weg ist. Erster und wichtigster Stolperstein ist dabei die Frage, ob die türkische Seite vor der Gründung eines gemeinsamen Bundesstaats eine Anerkennung der eigenen Staatlichkeit beansprucht – unannehmbar für die Griechen, die damit eine Anerkennung der türkischen Besatzung verbinden. „Die Logik zweier Staaten ist für uns nicht akzeptabel. Es existiert nur ein anerkannter Staat auf Zypern“, so Regierungssprecher Papapetrou zur taz.

Der türkische Außenminister Ismail Cem deutete vor wenigen Tagen an, welche Linie Ankara und Nordnikosia verfolgen werden: „Eine einzige internationale Rechtspersönlichkeit eines gemeinsamen Staats. Dabei soll jeder Partnerstaat [Süd- und Nordzypern – d. Red.] eine souveräne Rechtspersönlichkeit sein.“

Zumindest mit Wortgefechten wollen sich die Zyperngriechen offenbar nicht lange aufhalten: „Ob die beiden Teile des Bundesstaats nun Staaten genannt werden wie in den USA oder Länder wie in Deutschland, ist uns egal“, sagte Papapetrou.

KLAUS HILLENBRAND