Muscharraf für Toleranz

Der pakistanische Präsident will gegen militante muslimische Gruppen vorgehen. Doch in der Kaschmirpolitik gibt es keine grundlegende Änderung. Indien begrüßt die Rede und fordert Taten

aus Delhi BERNARD IMHASLY

In einer programmatischen Fernsehrede hat der pakistanische Präsident Pervez Muscharraf am Samstag seinem Land einen grundlegend neuen Kurs verschrieben. In einer Absage an die bisherige politische Instrumentalisierung des Islam appellierte er in seiner einstündigen Ansprache an seine Mitbürger, der religiös verbrämten Intoleranz und Gewalt innerhalb und außerhalb der Landesgrenzen eine Absage zu erteilen.

Stattdessen warb er für einen islamischen Staat, der religiöse und politische Dispute nicht vermengt und diese im Geist des friedlichen Wettstreits ausficht. Dies gelte namentlich für die drei Bereiche, die Pakistan einen schlechten Namen sowie wirtschaftliches und soziales Elend gebracht hätten: die Einmischung in internationale Konflikte, in der irrigen Meinung, den Islam zu retten; den „Sektenterrorismus“, der die Gesellschaft von innen zerfresse, und den Streit um Kaschmir.

Muscharrafs Fernsehauftritt war namentlich in Bezug auf diesen heißen Konflikt mit Indien seit Tagen mit Spekulationen vorauskommentiert worden. Doch seine Äußerungen zu Kaschmir zeigten keine radikale Kehrtwendung.

Pakistan lehne Terrorismus „in allen seinen Formen und Äußerungen ab, sagte er zwar mit aller Deutlichkeit. Und er verurteilte ein weiteres Mal das Attentat auf das indische Parlament am 13. Dezember und unterstrich dies mit dem Verbot der tatverdächtigen Gruppen Laschkar e-Taiba und Jaisch e-Mohammed. Jede Nutzung pakistanischen Territoriums für terroristische Zwecke sei ausgeschlossen. Und er appellierte ein weiteres Mal an den indischen Regierungschef A. B. Vajpayee, den Konflikt im Dialog und mit friedlichen Mitteln zu lösen.

An der politischen Grundhaltung änderte Muscharraf allerdings nur wenig. „Kaschmir rinnt in unseren Adern“ sagte er und versicherte, dass Pakistan den Befreiungskampf in Kaschmir weiterhin „moralisch, diplomatisch und politisch“ unterstützen werde.

Aus indischer Sicht ist dies wörtlich die Formel, mit der Islamabad seit zwölf Jahren den Aufstand im Kaschmirtal militärisch geschürt hat. Zudem, so heißt es in Delhi, biete ihm die Formulierung, Pakistan werde keine terroristischen Akte auf seinem Territorium tolerieren, gleich zwei Auswege: Das von Pakistan annektierte „Asad Kaschmir“ ist offiziell nicht pakistanischer Boden, und Muscharraf hat erst am Saarc-Gipfel vor einer Woche klar gemacht, dass der Befreiungskampf in Kaschmir für ihn kein Terrorismus ist. Allerdings zeigt das Verbot von Laschkar und Jaisch, dass Muscharraf auch Kaschmirgruppen des Terrorismus für fähig hält.

Gegenüber der indischen Forderung nach Auslieferung von zwanzig Terrorismusverdächtigen zeigte sich Muscharraf unnachgiebig. Wenn gegen pakistanische Bürger etwas vorliege, würden diese in Pakistan abgeurteilt. Nichtpakistaner genössen in Pakistan kein Asyl. Falls sie erwischt würden, werde gegen sie vorgegangen.

Trotz der internationalen Erwartung von Zeichen eines Entgegenkommens im Streit um Kaschmir widmete Muscharraf den größten Teil seiner Rede dem Aufräumen mit dem religiösen Extremismus im eigenen Land. Nachdem seine früheren Versuche, die Gewalt einzudämmen, nichts gefruchtet hätten, sei nun der Tag der Abrechnung gekommen. Neben Laschkar und Jaisch wurden drei weitere Gruppen für illegal erklärt. Moscheen und Madrassen müssen bis zum 23. März registriert werden, ebenso wie Madrassastudenten. Moscheen und insbesondere das Freitagsgebet dürfen nicht mehr für politische Zwecke missbraucht werden. Für Madrassen gelten neue Schulpläne, die neben religiöser Erziehung auch andere Fächer einbeziehen.

Um Protesten zuvorzukommen, waren Stunden vor der Rede mehrere hundert Mitglieder der verbotenen Gruppen und rund 75 Mullahs in Haft genommen worden. Zahlreiche Vertreter radikaler Parteien waren allerdings bereits zuvor untergetaucht. Sie meldeten sich nach der Rede Muscharrafs, um diese zu verurteilen.

Die internationalen Reaktionen waren, ebenso wie jene aus der pakistanischen Öffentlichkeit, durchweg positiv. Der indische Außenminister Jaswant Singh erklärte nach einer Kabinettssitzung am Sonntag, Indien begrüße das Verbot von Laschkar und Jaisch. Muscharrafs Worte müssten sich aber an seinen Taten messen lassen; erst dann könne militärische Entspannung erwartet werden. Falls diese Taten folgten, werde Indien „für jeden Schritt Pakistans zwei machen“.