Alle freuen sich auf Stoiber

Rot-Grün frohlockt über den bayerischen Kanzlerkandidaten, weil man ihn in die rechte Ecke stellen kann. Stoiber freut sich, weil er das genau weiß

von LUKAS WALLRAFF

Wer hat Angst vorm schwarzen Mann? Keiner. Wirklich nicht? Na ja, zumindest würde es keiner der rot-grünen Regierungspolitiker öffentlich zugeben. Da kann der frisch gekürte Kandidat der Union noch so selbstbewusst lächeln. Da kann Edmund Stoiber noch so oft in allen Fernsehsendern erzählen, dass er „die Chance zum Wechsel“ sieht und nutzen werde. Die rot-grünen Regierungspolitiker geben sich betont gelassen am ersten Wochenende nach der Entscheidung in der K-Frage.

„Ich habe keine Angst vor Edmund Stoiber“, versichert SPD-Fraktionschef Peter Struck. Stoiber als Angstgegner? „Sicher nicht“, behauptet Bundeskanzler Gerhard Schröder. Und der Grüne Rezzo Schlauch freut sich sogar auf einen „sehr klaren Wahlkampf“, den man gewinnen werde. Was aber, wenn er richtig in Fahrt kommt, der schwarze Mann aus Bayern? Wenn er auftrumpft mit seinen Erfolgen in der Wirtschaftspolitik? Wenn er der Regierung die erschreckenden Arbeitslosenzahlen vorhält? Dann laufen die Sozialdemokraten nicht davon. Nein, dann rennen sie vor die Mikrofone und tun das, was ihnen taktisch am günstigsten erscheint: Sie stellen den Herausforderer in die rechte Ecke.

Stoiber sei ein „Spalter, der unserem Land nicht gut tut“, verkündet SPD-Generalsekretär Franz Müntefering – und gibt damit die Richtung vor. Ein Lagerwahlkampf soll es werden. Der routinierte Kampagnenleiter Müntefering weiß, dass Rot-Grün ein ordentliches Feindbild braucht, um die eigenen Leute zu mobilisieren – und die wankelmütigen Wechselwähler zu gewinnen. 1998 war das einfach: Nach 16 Jahren Helmut Kohl genügte die Aussicht auf den Wechsel als Argument im Wahlkampf und motivierte die Genossen. 2002 wird es schwieriger: Stoiber gilt als Macher, dem viele zutrauen, neuen Schwung in die lahmende Wirtschaft zu bringen. Dagegen sieht Schröders Politik der „ruhigen Hand“ alt aus. Schon melden die ersten Demoskopen, Stoiber habe einen klaren „Kompetenzvorsprung“ gegenüber Schröder in der Arbeits-, Wirtschafts-, und Finanzpolitik. Ja, sogar beim Thema Bildung liegt er vorn.

Das Einzige, was Stoiber aufhalten kann, so hofft man bei Rot-Grün, ist Angst. Die Angst der Wähler vor einem Kanzler aus den bayerischen Bergen, der ganz Deutschland in eine Art konservatives Mittelalter zurückführen würde. Also warnt Grünen-Chefin Claudia Roth vor der „rückständigen“ Politik des Bajuwaren, die alle Reformen zunichte mache. Also mimt Amtsinhaber Schröder den modernen Staatsmann und wirft seinem Gegenspieler vor: „Stoiber wird die Gesellschaft polarisieren.“ Stoiber, munkelt der Kanzler im Spiegel, stehe „für die Radikalisierung der demokratischen Rechten und gibt damit die Mitte preis“. Davon träumen auch die Jusos in Rheinland-Pfalz, die analog zum Wahlkampf von 1980 eine „Stoppt Stoiber!“-Kampagne starten wollen. Der CSU-Kandidat weckt auch bei der PDS die alten Reflexe. Ihr Fraktionschef Roland Claus glaubt: „Stoiber wird einen Wahlkampf im Stil des Kalten Kriegs führen.“

Doch Stoiber ist nicht Strauß. Stoiber hat aus den Erfahrungen von 1980 gelernt. In seinen ersten Statements wählt der Kandidat ausgesprochen moderate Töne und umwirbt – die Mitte. „Und deswegen verstehe ich auch nicht“, sagt Stoiber fast schon mitleidig, „dass dem Bundeskanzler nichts anderes einfällt zu meiner Kandidatur, als klischeehaft zu sagen, das sei jetzt eine Polarisierung.“ Einen konfrontativen Wahlkampf mache er nur mit, sagt Stoiber, wenn das bedeutet, „dass wir eine andere Arbeitsmarktpolitik machen, dass wir eine andere Steuerpolitik machen, dass wir eine andere Gesundheitspolitik machen“. Wenn Schröder glaube, er könne die Wähler emotionalisieren, „dann wird ihm das nicht gelingen“.

Sosehr Rot-Grün es sich wünscht, die Union will das Spiel mit der Angst nicht mitspielen. Die CDU hat Angela Merkel nicht geopfert, um wie 1980 mit einem bayerischen Poltergeist unterzugehen, der Liberale und Norddeutsche verschreckt. „Stoiber muss zeigen, dass er in der Mitte abräumen kann“, sagte ein CDU-Abgeordneter am Wochenende, „die Rechten wählen ihn sowieso.“ Daran scheint auch Stoiber selbst zu glauben – und verspricht: „Ich werde keinen Ausländerwahlkampf führen.“ Also aus der Traum vom Angstwahlkampf für Rot-Grün? Nicht unbedingt. Anfang März wird über das Zuwanderungsgesetz entschieden. Spätestens dann wird der Kandidat beweisen müssen, wie viel Kreide er wirklich fressen kann.