Generation Gewinner

Bloß nicht aufopfern: „For a better world“ heißt die dritte Arbeit der Künstlerin Mathilde ter Heijne über Selbstmorde. Auf ihrer CD-ROM irrt man mit dem Cursor über abstrakte Flächen, dann taumeln brennende Menschen über die Oberfläche. Ein Porträt

von KATRIN BETTINA MÜLLER

Es ist eine Welt voller Konflikte, Unruhe und Gewalt, durch die Mathilde ter Heijne in ihren Videos, CDs und Installationen führt. Sie benutzt dabei Material aus den politischen Tagesnachrichten ebenso wie Zitate aus Spielfilmen, die um die Liebe kreisen. Beide Elemente verbindet der Aspekt des Katastrophischen und der Selbstzerstörung.

Ihre letzte Arbeit heißt „For a better world“ und entstand während eines Stipendiums, das die niederländische Künstlerin, die seit 1998 in Berlin lebt, vom Berliner Senat erhielt. In der Kunstbank stellt sie die CD-ROM vor, neben einer Skulptur von Daniel Knorr. Man irrt mit dem Cursor über eine abstrakte Fläche, diffuse Räume stürzen dem suchenden Pfeil entgegen, extreme Orientierungslosigkeit setzt ein. Dann bricht die Oberfläche an manchen Stellen plötzlich auf, man weiß nicht wieso, brennende Menschen taumeln durch dunkel verwischte Szenen. Eine Männerstimme schreit. Wenn das Bild wieder verschwunden ist, setzt ein sachlicher Text ein, den eine Frau vorträgt. Sie redet über Selbstverbrennungen im Stil von klinischen Fällen, die mit der Sprache der Medizin, der Psychologie und Soziologie den vernichtenden Griff nach dem eigenen Körper und der eigenen Identität verstehen wollen. Sie stellt die Verbindung zu religiösen Orientierungen her, denn in fast allen Selbstzeugnissen taucht der Moment der Berufung auf. Lange kann man ihr nicht zuhören, die gepixelte Oberfläche reißt wieder auf, und erschrockene Schatten huschen an den Bildrändern umher.

Beängstigend nah an die Realität und die Situation des Schocks im Jahr 2001 hat Mathilde ter Heijne ihre Arbeit geführt. Ihre Untersuchungen umkreisen ein Feld, das beinahe vergessen lässt, dass es sich um die Recherchen einer Künstlerin und nicht einer Terrorismusforscherin handelt. Der Selbstmord und der Wunsch der Aufopferung aber beschäftigen sie schon seit drei Jahren. Als Form des Protestes ebenso wie als Übererfüllung der weiblichen Rolle.

Die ganze Geschichte der Emanzipation, meint Mathilde ter Heijne, hat noch nicht viel geändert am verinnerlichten Programm weiblicher Selbstaufopferung. „Meine Mutter hat mir dieses Ideal noch mitgegeben, aber als Künstler wird von dir ein großes Ego verlangt.“ Dieser Widerspruch brachte sie zuerst auf die Spur. „Mich hat die Rolle der Schwachen interessiert. Ich gehöre einem Land und einer Generation der Gewinner an“, sagt die 1969 geborene Künstlerin, „die nicht mehr wie die Generationen zuvor idealistisch motiviert ist.“ Das hat sie geärgert. Sie wollte sich in andere Situationen versetzen, ohne das Bewusstsein darüber aufzugeben, sich dieses Gedankenspiel aus einer privilegierten Perspektive leisten zu können. Daher wird die Identifikation immer wieder gebrochen.

1999 entstanden Videos und Installationen, in denen Mathilde ter Heijne mit lebensgroßen Puppen, Doppelgängerinnen ihrer selbst, zu arbeiten begann, die ihr aufs Haar gleichen. Solche Double kommen im Film meist ins Spiel, wenn es auf die Katastrophe zugeht, den Sturz aus dem Fenster, den tödlichen Unfall. Eine der Puppen saß im Regenmantel in einer Ecke der Berliner Galerie Arndt & Partner und hörte „Ne me quitte pas“ aus ihrem kleinen Radio. Hinter einer Wand lief das Video „Mathilde, Mathilde . . .“.

Drei französische Spielfilme, in denen eine Frau namens Mathilde das Ende der Liebe nicht überleben will, hatten der Künstlerin gleichen Namens die Idee der Vervielfältigung und Aufspaltung in Teile einer Rolle nahe gelegt. Einen der filmischen Selbstmorde von einer Mathilde, die von einer Brücke springt, zitiert sie im Video. Doch sie ahmte die Dramaturgie des Spielfilms nicht einfach nach: Im Mittelpunkt steht plötzlich die Mühe, den Dummy ihrer selbst über das Brückengeländer zu werfen. „Mathilde, Mathilde“ führte den Selbstmord in effigie aus: ein exorzistisches Spiel, um die Rolle des weiblichen Opfers von sich abzuspalten und loszuwerden.

In einer zweiten Installation schauten gleich zwei ihrer Doppelgängerinnen ihrem Selbstmord im Kino zu. So potenzierte sich die Inszenierung für das Auge des Betrachters: Das Subjekt, das sich vernichtet, will dafür ein vielfaches Bild seiner selbst in anderen hinterlassen. In dieser Konstellation reflektiert Mathilde ter Heijne die Funktion der medialen Spiegelung in der Konstituierung der Märtyrerrolle. Im Video „Suicide Bomb“ (2000) wird die Puppe auf einem verlassenen Sportplatz von zwei Special-Effects-Agenten in die Luft gejagt. Ein Text informiert dazu über den großen Anteil von Frauen in Selbstmordattentaten der Tamil Tigers oder der PKK Kurdistans.

„Alle diese Arbeiten verbindet der Moment des Scheiterns“, meint ter Heijne und zählt auf: Es scheitert die perfekte Fiktion, denn der Aufwand der Inszenierung wird sichtbar. Es scheitert die Intention der Identifikation; nichts aber wünscht sich das Opfer so sehr wie kritiklose Anerkennung. Es scheitert nicht zuletzt die Vorstellung, mit „Kunst etwas ändern zu können“. Mathilde ter Heijne, das merkt man, würde gerne daran glauben, aber sie kann es nicht.

„Kunst ist dekadent, für Leute mit viel Geld, das ist das Blöde an der Kunst.“ Der Mangel an Utopien und Idealismen macht ihr zu schaffen. Um so härter lässt sie den Wunsch, eine Heldin zu sein, in ihren Videos zu Boden krachen.

Das Private und das Politische hat Mathilde ter Heijne auch in ihren früheren Installationen zusammengebracht. Gestapelte Kartons bildeten einen Lagerraum, zugleich Metapher einer globalisierten Warenwelt und einer Notunterkunft von Entwurzelten. Durch Plastiklinsen sah man im Inneren kleine Figuren kreisen, ausgeschnitten aus Zeitungsseiten und an Mobiles aufgehängt. Die blinden Passagiere in den Transportkisten kamen von überall dort, wo das Leben vieler bedroht ist. Sie baten um unser Mitgefühl wie die Spielfiguren in einem Theater für Kinder. Den Medien und ihrem Bemühen um Aufklärung traut ter Hejine wohl auch nicht mehr als der Kunst zu.

Bis 1. Februar, Mo. – Fr. 14 – 18 Uhr in der Kunstbank, Brunnenstr. 186 – 190, Mitte